Veröffentlichungen von Urmila Goel

Als der Waffenstillstand gebrochen wurde
Impressionen aus Nepal

erschienen  in: Südasien 3/03, 44-45. (Text als pdf)

Kurz vor Kathmandu, 2. September 2003, 14.50 Uhr: Der Bus aus Pokhara quält sich den Berg hinauf. Ganz langsam. Die meiste Zeit steht er - in einer langen Schlange von Bussen und LKWs. Alle wollen sie nach Kathmandu, voll geladen mit Waren, Nepalis auf Reisen und auch einigen Touristen. Aber vor dem Ziel ist noch ein Kontrollpunkt der Armee zu passieren. Am letzten standen wir eine Stunde im Stau bis wir ihn endlich erreicht hatten. Alle Nepalis mussten aussteigen, ihre Taschen kontrollieren lassen, nach wenigen Minuten waren sie wieder im Bus und wir konnten weiterfahren. Aber nicht lange, schon eine halbe Stunde später stehen wir wieder.

Knapp zwei Wochen vorher, am 19. August, war ich zu einer Dienstreise nach Kathmandu gekommen. Jeder Abend war verplant, entweder mit den Kollegen oder mit Partnern standen Gespräche auf dem Programm. Im Vorjahr war das anders gewesen. Bei Dunkelheit war ich im Hotel und blieb da auch – in Nepal herrschte Ausnahmezustand. Erst Ende Januar 2003 ging ein Aufatmen durch das Land. Die Regierung und die Maoisten hatten einen Waffenstillstand vereinbart. Unmittelbar vor meiner Ankunft, am 17. August, fand die dritte Gesprächsrunde zwischen den beiden Konfliktparteien statt. Die nächsten zehn Tage diskutierte das politische Kathmandu über die Forderung der Maoisten nach einer verfassungsgebenden Versammlung, die von der Regierung kategorisch abgelehnt wurde. Die Stimmung war pessimistisch. Eine Einigung und damit der Beginn für eine Normalisierung Nepals schien fern.

Mit der einseitigen Aufkündigung des Waffenstillstands durch die Maoisten am 27. August schien aber kaum einer gerechnet zu haben. Erst erschien sie auch nicht weiter bedrohlich. In entspannter Atmosphäre diskutierten wir abends die Presseerklärung der Maoisten und wie es nun weiter gehen würde. Unser Büroleiter vermutete, dass die Maoisten der Regierung lediglich drohen wollten, um so ihre Forderungen durchzusetzen. Es war schon dunkel, als wir schliesslich unsere Gastgeberin verliessen und ungestört unser jeweiliges zu Hause ansteuerten.

Der nächste Tag war ganz anders. Mitten in unsere Besprechung platzte unser Fahrer herein. Zwei hohe Armeevertreter seien am frühen Morgen in Kathmandu niedergeschossen worden, einer sei tot. Der Waffenstillstand war also nicht nur aufgekündigt, sondern tatsächlich gebrochen worden. In den Tagen vorher hatte es zwar auch immer mal wieder Anschläge und Morde gegeben – so war die Wagenkolonne des früheren Premierministers Deuba von Maoisten beschossen worden und 17 unbewaffnete Maoistenkader hatten eine Begegnung mit der Armee nicht überlebt -, aber das war ausserhalb Kathmandus gewesen. Nun breitete sich Unruhe aus. Es wurde ernst. Die Kollegen nutzten alle Wege, um die neuesten Nachrichten zu bekommen. Das informelle Netzwerk funktionierte dabei am schnellsten.

Am späten Nachmittag kam einer unserer Gesprächspartner, ein Politikstudent, völlig genervt im Büro an. Die ganze Stadt sei voll mit Armee und Polizei. Er sei ständig kontrolliert worden und das in seinem Privatwagen, wo doch bislang nur Taxis und Busse untersucht worden waren. Seine Aktentasche auf dem Beifahrersitz hätte die Sicherheitskräfte zudem unruhig gemacht. Unser Gespräch war nur kurz, denn wir wollten noch in Helligkeit zur Universität. Es war 18.30 Uhr als wir losfuhren und unser Fahrer wurde immer unruhiger. Auf der Strasse fuhren kaum Autos, völlig ungewöhnlich für diese Zeit. Unser Plan wurde in Sekundenschnelle geändert. Der Büroleiter wohnte gleich um die Ecke und wurde abgesetzt. Dann fuhren wir auf dem schnellsten Weg zu meinem Hotel. Überall waren Soldaten. Busse wurden angehalten, die Fahrgäste mussten aussteigen. Wir aber kamen gut durch. Nur auf der Rückfahrt zum Büro ging es für unseren Fahrer nicht so glatt. Er blieb stecken in den Armeekontrollen und brauchte eine Stunde länger als sonst für die halbstündige Strecke.

Ich aber stieg ein in eine friedliche Welt. Im Touristenviertel Thamel war alles in Ordnung. Keiner schien besonders beunruhigt über die Ereignisse des Tages. Es war auch wenig über diese herauszubekommen. BBC und die indischen Nachrichten brachten kaum etwas über Nepal, die deutschen Zeitungen im Internet schon gar nicht. War alles nur ein schlechter Tagtraum gewesen?

Die nächsten Tage verliefen dann ähnlich. Die Kollegen verfolgten die Entwicklungen mit grosser Sorge – die Maoisten waren inzwischen wieder zu Terroristen erklärt worden, damit waren weitere Gespräche ausgeschlossen, auch Veranstaltungen unseres Büros waren davon betroffen. Mein Abendprogramm wurde weitgehend abgesagt – im Dunkeln mit dem Auto unterwegs zu sein, schien nicht sicher. In Thamel aber planten die Weltreisenden weiter ungestört ihre Treks.

Auch ich plante weiter meinen Kurzausflug nach Pokhara. Die Kollegen waren nur etwas wegen der Erdrutsche auf der Strecke beunruhigt. Sicherheitsbedenken hatten sie nicht, denn Touristen waren bisher nie Ziel der Maoisten gewesen. Die Busfahrt ging dann auch besser als gedacht, die Kontrollpunkte waren schnell passiert, die Erdrutsche soweit abgesichert, dass der Bus weiterfahren konnte. In Pokhara selbst war dann die Politik ganz weit weg, das Touristenherz wurde nur vom Monsoon getrübt.

Als die mitreisenden Trekker vor der Rückfahrt hören, dass ich zwei Tage vorher die gleiche Strecke gekommen bin, fragen sie mich nach der Lage aus. Allerdings interessiert sie nicht, welche Auswirkungen der Bruch des Waffenstillstands hat, sie wollen wissen, ob die Erdrutsche noch so schlimm sind. Sind sie nicht. Wir kommen sehr gut durch. Es gibt allerdings mehr Kontrollpunkte der Polizei und Armee auf dem Weg. Mit der Zeit gewöhnen wir uns dran, die Nepalis müssen raus, wir Ausländer dürfen drin bleiben und dann ist es auch schon schnell vorbei. Bis zu den letzten zwei Kontrollpunkten direkt vor Kathmandu. Der Stau vor dem ersten dauert eine Stunde, der zum nächsten dann zwei.

Zwei Stunden stehen wir in der langen Schlange der Busse und LKWs. Es geht bergauf, die Motoren können nicht abgestellt werden, die Luft wird immer schlechter. Aus dem Bus raus können wir auch nicht, die Strasse ist eng, und es ist dort auch nicht angenehmer als im Bus. Die Vorräte, insbesondere an Wasser gehen zu Ende, aber es gibt kaum Strassenverkäufer. Genug Zeit, um über die Folgen des Bruch des Waffenstillstands für Nepal nachzudenken, habe ich aber - und genug Anschauungsmaterial. Mit mir stecken Touristen, nepalische Arbeiter und Arbeiterinnen sowie Geschäftsleute und Mengen von Waren im Stau. Das kann für die Wirtschaft nicht gut sein. Gerade hatte der Tourismus wieder etwas zugenommen.

Eigentlich wollte ich noch ins Büro an diesem Nachmitag, das wird aber wohl nicht klappen. Endlich bekomme ich über das Bürohandy eine Verbindung und kann die Kollegen informieren. Sie sprechen mit dem Busfahrer, was ich mangels Nepalikenntnissen nicht kann. Wir sollen um 16.30 Uhr in Kathmandu ankommen. Das stimmt nicht ganz, erst um 16.45 Uhr erreichen wir den Kontrollpunkt. Und vor der Ankunft in Kathmandu um 17.40 Uhr stehen noch weitere kleine Kontrollpunkte und immer mehr Sicherheitskräfte. Selbst in Thamel stehen Polizisten mit Schlagstöcken und Gewehren an den Kreuzungen. Im Hotel werden die Gäste aufgefordert bis 20.00 Uhr zurückzukommen. Es gebe zwar keine offizielle Ausgangssperre in Thamel, aber besser sei besser. Ich bin froh, dass ich meine ursprünglichen Abendpläne abgesagt habe.

Am nächsten Tag verlasse ich eine Stadt, in der an jeder Kreuzung Sicherheitskräfte stehen - an den größeren mit Kleinpanzern. Der Flughafen ist streng abgeriegelt, die Kollegen kommen fast nicht mit rein. Aber all die Sicherheitsmassnahmen scheinen, nur wenig Erfolg zu haben. In den nächsten Tagen berichtet BBC World Service von immer weiteren Anschlägen mitten in Kathmandu. Die Situation verschlechtert sich täglich. Es gibt sogar mal einen Bericht in einer deutschen Zeitung.

 

© Urmila Goel, www.urmila.de 2003