Forschungsprojekt: Die virtuelle zweite Generation
Forschungsansatz (Stand: 2002)
Das Forschungsprojekt "Die virtuelle zweite Generation" von Dr. Urmila Goel an der Europa-Universität Viadrina analysiert die Bedeutung virtueller Sozialräume bei der Aushandlung ethnischer Identität in der 'Diaspora'. Es wird betrachtet wie die neuen Räume bereits bestehende Prozesse beeinflussen und verändern, welche neuen Möglichkeiten sie für die Konstruktion des 'Eigenen' in einer 'fremden' Umwelt eröffnen und wie diese genutzt werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt hierbei der Interaktion zwischen virtuellen und physischen Räumen sowie der hieraus entstehenden Dynamik für die Identitätskonstitution.
Zur Analyse der Fragestellung werden Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie genutzt. Der exemplarisch betrachtete virtuelle Raum ist die ethnisch definierte Internetplattform www.theinder.net. Diese sehr stark genutzte Seite wird von 'InderInnen der zweiten Generation' in Deutschland für 'InderInnen der zweiten Generation' gemacht. Die Beobachtung der Diskussionsverläufe in den interaktiven Foren wird durch narrative Interviews mit RedakteurInnen und NutzerInnen ergänzt. Die Analyse der Texte erfolgt dabei auf Basis der gegenstandsbegründeten Theoriebildung nach Glaser und Strauss.
Basierend auf der Feldforschung in einer klar abgegrenzten Gemeinschaft hat das Forschungsprojekt einen interdisziplinären Ansatz. Es greift insbesondere Debatten aus der Soziologie und Psychologie aber auch der Politologie zur (ethnischen) Identitätsentwicklung sowie zur Bildung von Gemeinschaften und der Rolle der Medien, insbesondere des Internets, hierbei auf. Grundannahme bei der Analyse ist, dass sich ethnische Identität in einem transaktionalen Prozess entwickelt und dabei ständig Neues entsteht.
Zusammenfassung des Schlussberichts (August 2006)
Im Rahmen des
Forschungsprojekts „Die virtuelle zweite Generation – Zur Aushandlung
‚ethnischer’ Identität im Internet am Beispiel der ‚InderInnen der zweiten
Generation’ in ‚Deutschland’“ wurde das ‚ethnisch’ definierte Internetportal
www.theinder.net, genannt das Indernet,
analysiert. Durch teilnehmende Beobachtung on- und offline sowie narrative
Interviews wurde ergründet, welche Funktionen dieser virtuelle Raum bei der
Aushandlung natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit erfüllt. Somit war das
Forschungsprojekt sowohl in den Internetstudien wie in der Migrations- bzw.
Rassismusforschung angesiedelt.
Das Indernet wird vor allem von jungen Menschen, die der Norm der eindeutigen
natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit nicht entsprechen können, genutzt. Sie
fühlen sich mehreren natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitskontexten zugehörig
und erfahren in diesen immer wieder Ausgrenzungen. Das Indernet, das als Raum
der ‚InderInnen der zweiten Generation’ definiert ist, bietet ihnen einen
eigenen Raum, in dem sie zu der Norm der natio-ethno-kulturell (Mehrfach-)Zugehörigen
gehören. Dieser Raum ist ein Ort der Zuflucht von den permanenten (subtilen)
Rassismus- und Otheringserfahrungen in ihrer ‚Weiß’ dominierten Alltagswelt.
Hier können sie sich mit den nach natio-ethno-kulturellen Denkmustern
definierten Gleichen über die gemeinsamen Erfahrungen austauschen. Zudem
erhalten sie hier Informationen über das ihnen zugeschriebene Herkunftsland
‚Indien’, die sie brauchen um in Herkunftsdialogen bestehen und eine positive
Identifikation aufbauen zu können. In all diesen Funktionen dient der virtuelle
Raum der Stärkung der NutzerInnen, damit sie mit den Rassismus- und
Otheringserfahrungen in anderen Räumen besser umgehen können.
Die Norm der natio-ethno-kulturellen Eindeutigkeit lässt viele
natio-ethno-kulturell (Mehrfach-)Zugehörige nach einer eindeutigen Zugehörigkeit
suchen. Das Indernet bietet ihnen hierbei die Imagination einer ‚indischen’
Gemeinschaft, die transnational verankert ist, an. Dabei bleibt es aber klar
lokal verortet und führt nicht tatsächlich zu transnationaler Vernetzung.
Transnationalität wie eindeutige natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit werden
nicht tatsächlich hergestellt sondern gemeinsam imaginiert.
Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde festgestellt, dass virtuelle Räume zwar
einige Spezifika bezüglich der dort stattfindenden sozialen Interaktionen
aufweisen, diese aber in der Forschung häufig überbetont werden. Das Indernet
bietet mehrere virtuelle Räume, die die anderen (sowohl virtuellen als auch
physischen) Räume, die von ‚InderInnen der zweiten Generation’ genutzt werden,
ergänzen. Eine Analyse des Indernets richtet sich daher am produktivsten auf
seine Verbundenheit mit anderen Räumen und seine interne Vielfalt, und nicht so
sehr auf das Internetspezifische dieses Raums. Der Fokus auf die Komplexität der
Interaktion von verschiedenen Räumen hat direkte Konsequenzen für das
methodische Vorgehen, so reicht eine reine Internetbeobachtung als Feldforschung
nicht aus, sie muss durch Offline-Beobachtungen und Interviews ergänzt werden.
Zudem stellen sich bei der Internetfeldforschung die Fragen der Forschungsethik
neu.
Mareile Paske, Thomas Steller, Navina Khatib, Alexandra Florea, Kathleen Heft, Daniela Vrhovac, Kamila Haluszczak, Jolanta Gambuś, Kamil Majchrzak, Katarzyna Fus, Leonie Mechelhoff