Veröffentlichungen von Urmila Goel / Desis in Deutschland

Forschungsprojekt "Die virtuelle zweite Generation"

Urmila Goel

Vom Indernetzwerk zum Indienportal - Die Entwicklung eines virtuellen Raumes

in: Uwe Hunger und Kathrin Kissau (2009, Hrsg.), Internet und Migration. Theoretische Zugänge und Empirische Befunde, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 213-232.

Gliederung

  1. InderKinder im Internet
  2. Unter natio-ethno-kulturell Gleichen
  3. Der Indienboom und seine Auswirkungen
  4. Tot oder lebendig?
  5. Potentiale des Internets

In dieser html-Version fehlen die Fußnoten, Abbildungen und Formatierungen des Buchkapitels.

Acht Jahre nach der Gründung des Internetportals scheint das Indernet im Jahr 2008 bei der interessierten Öffentlichkeit eines der bekannteren sogenannten Ethnoportale (Jordanova-Duda 2002 sowie Androutsopoulos 2006a: 3) im deutschsprachigen Raum zu sein . Wissenschaftliche Veröffentlichungen beziehen sich (zumindest am Rand) auf das Portal . Auf wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Konferenzen und Tagungen zum Thema Internet und Migration ist es ein bekannter Referenzpunkt. Acht Jahre nach seiner Gründung hat das Indernet zudem noch immer Bedeutung für seine (ehemaligen) Nutzer_innen . So begrüßt mich im Oktober 2008 in der Schweiz eine Interviewpartner_in mit: „Dich kenne ich vom Indernet.“ Im weiteren Gespräch stellt sich dann heraus, dass sie noch viele andere aus dem Indernet persönlich kennt und mit ihnen weiterhin Kontakt hat, obwohl sie schon lange nicht mehr das Portal nutzt. Gleichzeitig ist allerdings im Winter 2008/09 das Forum seit Monaten nicht mehr zugänglich, ist der Veranstaltungskalender noch viel länger nicht mehr aktualisiert worden, scheint in den Rubriken nichts mehr zu passieren und wird nur noch selten ein neuer Artikel auf der Startseite hochgeladen.

Acht Jahre nach der Gründung des Internetportals scheint die Hochzeit des Indernets vorüber zu sein, seine Bedeutung aber nicht. Dieser Artikel skizziert verschiedene Entwicklungsstufen des virtuellen Raumes und bietet Interpretationsmöglichkeiten an. Er beruht dabei auf der teilnehmenden Beobachtung des Internetportals seit Weihnachten 2000 sowie auf umfangreichen Interviews mit Redakteur_innen, Nutzer_innen und Beobachter_innen im Zeitraum von 2004 bis 2006 . Theoretisch und methodisch bezieht sich die Darstellung zum einen auf Diskussionen zur virtuellen Ethnographie (insbesondere Miller/Slater 2000) sowie auf die kritische Rassismusforschung (insbesondere Mecheril 2003) und andere machtkritische Theorieansätze wie die postkoloniale Theorie (vgl. Castro Varela/Dhawan 2005), die kritische Weißseinsforschung (vgl. Eggers et al. 2005) sowie die Gender und Queer Studies (vgl. von Braun/Stephan 2005). Aus dieser machtkritischen Perspektive verstehe ich den (bestätigenden sowie den widerständigen) Umgang mit gesellschaftlichen Normen als politisch. Anhand des Indernets werde ich verschiedene Facetten der Relevanz des Internets für Menschen aufzeigen, die in Deutschland als ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘, ‚Migrant_innen‘ oder ‚Ausländer_innen‘ bezeichnet werden . Im Einzelnen werde ich die Gründung des Portals im Jahr 2000, die Entwicklung eines Raumes für natio-ethno-kulturell (vgl. Mecheril 2003) Gleiche, die Bedeutung des ‚Indienbooms‘ in den Jahren 2002/03 sowie die Veränderung des Portals seit etwa 2005 darstellen. Zum Abschluss des Kapitels betrachte ich die Bedeutung des neuen Mediums Internet für die Redakteur_innen und Nutzer_innen des Indernets.

1 InderKinder im Internet

„Das Jahr 2000 war das Jahr der Greencard. Eine Schwemme indischer Softwarespezialisten sollte Deutschland überrollen. Das war tatsächlich nicht der Fall. Deutschland sprach von den Indern und Herr Rüttgers wollte lieber ‚Kinder statt Inder‘. Ein Grund, warum damals meine beiden Kollegen und ich uns entschlossen unsere persönlichen Internetseiten miteinander zu vernetzen. Indernetzwerk halt, ‚jetzt zeigen wir’s denen‘ und so.“

So beschreibt einer der Gründer in einem Grußwort zum dreijährigen Jubiläum des Indernets die Entstehung des Portals. Diese Bezugnahme auf die ‚Computer-Inder_innen‘ und die Kampagne „Kinder statt Inder“ (vgl. Goel 2000) zieht sich auch durch viele meiner Interviews. Eine der frühen Redakteur_innen erklärt mir, dass das Indernet am Anfang eine „Protestseite“ war, deren Idee es war „Herrn Rüttgers zu ärgern und zu sagen: hier, es gibt Inder in Deutschland und wir sind als Community stark“.

Als Inder_innen wahrgenommene Menschen waren bis zu dieser Kampagne kaum als Problem in Deutschland dargestellt worden. Die Gründe hierfür liegen vermutlich an ihrer absolut geringen Anzahl , an dem recht hohen Anteil von gut ausgebildeten, ökonomisch und sozial gut etablierten unter ihnen (vgl. Goel 2006) sowie an dem Sehnsüchte in der deutschen Dominanzgesellschaft bedienenden orientalistischen Bild von Indien (vgl. Goel 2008a: 215-218). Der plötzliche Fokus auf Inder_innen, der ihnen zwar zum einen eine bis dahin nicht vermutete Kompetenz zuschrieb, zum anderen aber auch ihre Präsenz in Deutschland in Frage stellte, traf daher in Deutschland sozialisierte und dort als Inder_innen wahrgenommene junge Menschen überraschend und ambivalent. Die Gründung des Internetportals Indernet nahm diese Ambivalenz auf (vgl. Goel 2008a: 210-211). Auf der einen Seite bezieht es sich positiv auf das Bild der ‚Computer-Inder_in‘ und stellt die IT-Kompetenz Indiens dar. Zum anderen wird Kritik an den ausgrenzenden Diskursen geübt, wie ein Zitat aus der Nachrichtenrubrik am 26.12.2000 zeigt: „Als Kanzler Schröder bekannt gab, daß er die Green Card einführen wolle, protestierte die halbe Nation. Befürchtungen vor zu viel Einwanderung, sowie die Gefahr, daß die Experten nicht nach 5 Jahren das Land wieder verlassen, bildeten den Keim für konservative bis zu rechtsextremen Kampagnen.“ Insofern handelt es sich bei der Gründung des Indernets um eine politische Handlung, die auch von Nutzer_innen als positiv angesehen wird. So schreibt eine Nutzer_in im Mai 2006 im Forum: „Irgendwo habe ich gelesen (glaube auf urmels Homepage , müsste es aber nochmal nachprüfen), dass dieses Forum als Antwort auf die damalige Kampagne “Inder statt Kinder” gedacht war, was mir als Idee sehr gut gefiel.“

Auffällig ist dabei, dass explizite politische Aussagen auf dem Indernet kaum zu finden sind. In Interviews und bei öffentlichen Auftritten betonen die Redakteur_innen, dass das Internetportal nicht politisch bzw. politisch neutral sei (vgl. Goel 2005a). Die Auseinandersetzungen mit der diskriminierenden Kampagne erfolgen insbesondere durch das humoristische Spielen mit ausgrenzenden Bildern (vgl. Paske 2006: 27-28), der Sammlung von Cartoons rund um ‚Computer-Inder_innen‘ und der Selbstaneignung von Wortspielen wie dem ‚Indernet‘. Mit Paul Mecheril (in Goel 2008b: 65-66) lässt sich argumentieren, dass hier Ironie genutzt wird, um die Ambivalenz der Situation zu ertragen und zu verarbeiten. Oder wie einer der Gründer es im Interview formuliert: „Da haben wir uns ein bisschen geärgert, dass soviel negative Propaganda gemacht wurde. Und auf der anderen Seite haben wir es auch ganz lustig gefunden.“

Die Debatte um die ‚Computer-Inder_innen‘ alleine hätte aber nicht zur Gründung des Indernets geführt. In fast allen Interviews mit jungen Männern , die um 2000 eigene Webseiten gestalteten, wurde der Spaß am Spielen mit dem neuen Medium betont. So sagt einer der Indernet-Gründer: „Ich hatte das Medium damals entdeckt. Wir hatten bei uns in der Schule html gemacht. Das fand ich sehr interessant. Da hab ich mich etwas mehr mit dem Internet auseinandergesetzt und irgendwann war auch dieser Drang da, sich irgendwie auch dann im Netz mal zu präsentieren.“ Zumeist wurden erst statische persönliche Seiten gebastelt und als diese zu langweilig wurden, größere Projekte in Angriff genommen. Der Webmaster eines Portals, das Ende 2008 zu einem kommerziellen Erfolg zu werden scheint, erzählte mir über die Anfänge: „Dann habe ich aber gemerkt, jetzt habe ich die Seite zusammengestellt, aber da ist irgendwie nichts mehr zu tun. Und dann habe ich mir halt irgendetwas gesucht, worüber ich eine Seite machen wollte.“

Das „irgendwas“, was gesucht wurde, hatte nicht nur im Falle des Indernets mit Indien zu tun . Die Auseinandersetzung mit der zugeschriebenen Herkunft Indien spielte für viele junge Menschen zu dieser Zeit eine große Rolle, wie einer der Gründer des Indernets mir im Interview erklärte: „(…) dass man so in einem Alter war, wo man sich auf einmal ein bisschen mehr Gedanken auch über Indien vielleicht gemacht hat oder so, wo man vorher ja eher so pragmatisch gelebt hat“.

Die Migration von Menschen aus Indien nach West-Deutschland war vor allem in den 1960ern und 70ern hoch (vgl. Goel 2006). Familien wurden insbesondere in den 1970ern gegründet, so dass ab der Mitte der 1990er erstmals eine größere Zahl von in Deutschland sozialisierten und dort als Inder_innen wahrgenommenen jungen Menschen in einer Lebensphase war, in der sie sich aktiv zwischen verschiedenen Zugehörigkeitskontexten orientieren mussten. Die Verbreitung des Internets und die Gründung des Indernets fielen gerade in diese Zeit und boten so das richtige Angebot zur richtigen Zeit. Ohne die neue Technologie wäre der Austausch unter den in Deutschland sozialisierten und dort als Inder_innen wahrgenommenen jungen Menschen viel schwerer geworden, wie eine der frühen Redakteur_innen ausführte: „Also, wenn es das Internet nicht gegeben hätte, gäbe es das Indernet auch nicht. Dann würde es sicher sehr sehr schwierig werden. Bis es dann irgendwelche anderen Kommunikationsmöglichkeiten gegeben hätte, das hätte wohl sehr lange gedauert. Also wenn das Internet nicht erfunden worden wäre, sehe ich eigentlich im Community-Bereich keine Zukunft, hätte ich da nicht gesehen. Weil das ist ja richtig ausschlaggebend. Dadurch ist alles gewachsen. Das Internet hat wirklich ein Tor geöffnet.“

So verbanden sich im Sommer 2000 die Kampagne „Kinder statt Inder“, die Verbreitung von Technikkompetenz sowie eine kritische Masse von in Deutschland sozialisierten und dort als Inder_innen wahrgenommenen jungen Menschen in der Orientierungsphase zu einem idealen Ausgangspunkt für den Erfolg des Indernets , der sich in den Zugriffszahlen der Abbildung 1 widerspiegelt.

2 Unter natio-ethno-kulturell Gleichen

„Wow! Soo viele Inder! Ich war wirklich sprachlos als ich im Winter 2001, auf der Indian Night in Frankfurt ankam. Meine erste indische Party. Bis dahin dachte ich noch, Deutschland sei ein inderloses Land“ schreibt eine der Redakteur_innen in ihrem Grußwort zum dreijährigen Jubiläum des Indernets. Auch in den anderen Grußworten und in den Interviews mit mir wird immer wieder der Überraschung, dass es so viele andere ‚Inder_innen‘ in Deutschland gibt – und man mit ihnen über das Internetportal in Kontakt treten kann -, Ausdruck gegeben.

Junge Menschen, die in Deutschland sozialisiert wurden und dort als Inder_innen wahrgenommen werden, können in verschiedene Kategorien eingeteilt werden. Ein großer Teil sind Kinder von christlichen Krankenschwestern, die aus dem südindischen Kerala in den 1960er und 70ern nach West-Deutschland angeworben wurden (vgl. Goel 2008b). Die Migrant_innen haben sich, insbesondere mit Hilfe der katholischen Kirche, eigene natio-ethno-kulturelle Strukturen aufgebaut und ihre Kinder in diese eingeführt. In Wohnumfeld und Schule bleiben die jungen Menschen aber überwiegend von Angehörigen der Dominanzgesellschaft und anderer natio-ethno-kulturell definierter Gruppen umgeben. Dies gilt noch mehr für die zweite große Kategorie. Deren Väter kamen vor allem in den 1950ern und 60ern für Praktika und Studium nach West-Deutschland, etablierten sich in akademischen Berufen, gründeten Familien mit Ehefrauen aus der Dominanzgesellschaft oder Indien und hatten wenig Kontakt mit anderen Migrant_innen aus Indien (vgl. Goel 2006). Diese beiden Kategorien kenne ich am besten, nicht nur weil sie das Bild der ‚Inder_innen‘ in Deutschland dominieren, sondern da ich zu letzterer gehöre und mit der ersten viel Kontakt habe. Gemeinsam kann man sie auch als Kategorie der etablierten Inder_innen (vgl. Desai 1993) in Deutschland bezeichnen. Darüber hinaus gibt es auch jene, deren Zuwanderung weniger privilegiert war, weil die Migrant_innen weniger qualifiziert waren oder nur über einen Asylantrag ins Land kommen konnten. Als Inder_innen wahrgenommen werden zudem nicht nur jene, die eine direkte biographische Verbundenheit zu der Republik Indien aufzuweisen haben. Die Kategorisierung als Inder_in erfolgt in Deutschland in der Regel auf Basis einer Reihe von physiognomischen und sozialen Merkmalen. Dies führt dazu, dass auch Menschen mit einer biographischen Verbundenheit zu einem anderen südasiatischen Land (vgl. Goel 2005b: 202), mit einer viele Generationen zurückliegenden biographischen Verbundenheit zu Indien sowie aus Südasien Adoptierte (vgl. Goel 2008c: 103-108) und jene mit einem in ihrem Leben abwesenden Erzeuger aus Südasien (vgl. Goel 2008c: 102 und Kröger 2003) Indisch-Sein zugeschrieben wird und sie sich mit dieser Zuschreibung auseinandersetzen müssen. Junge Menschen all dieser Kategorien habe ich unter den Redakteur_innen und Nutzer_innen des Indernets getroffen. Sie unterscheiden sich in ihren Lebensumständen, ihrer regionalen Verortung in Deutschland und jenseits der deutschen Grenzen, ihrer sozialen Schicht, politischen und religiösen Orientierung, Interessen und anderen Aspekten stark voneinander. Was sie aber eint, ist dass sie überwiegend im deutschsprachigen Raum aufgewachsen sind und von anderen regelmäßig als Inder_innen wahrgenommen werden. Viele von ihnen empfinden sich als natio-ethno-kulturell Gleiche, auch wenn die Grenzen der Gleichheit immer wieder strittig sind (vgl. Goel 2008c).

Die meisten Redakteur_innen und Nutzer_innen leben, lernen und arbeiten in einem von der Dominanzgesellschaft dominierten Umfeld und werden die meiste Zeit als von dem fiktiven Bild des Standard-Deutschen (Mecheril 2003: 211-212) abweichend angesehen. Wenn sie Kontakt mit anderen natio-ethno-kulturell Gleichen haben, dann meist nur über die natio-ethno-kulturellen Netzwerke ihrer Eltern. Seit Mitte der 1990er ist zu beobachten, dass die in Deutschland sozialisierten und dort als Inder_innen wahrgenommenen jungen Menschen sich darum bemühen, eigene Räume zu schaffen, in denen sie selbst die Regeln aufstellen und in denen ihre spezifischen Bedürfnisse nach Austausch und Vertrautheit erfüllt werden (vgl. Goel 2007c). Der virtuelle Raum Indernet erfüllte die Erfordernisse hierfür besonders gut, wie ich in den Interviews zwischen 2004 und 2006 immer wieder erfahren habe (vgl. Goel 2005b und 2007b). Mit wenigen Ressourcen und ohne Kontrolle durch die Eltern oder die Dominanzgesellschaft konnte hier etwas Eigenes geschaffen werden. Das Indernet entwickelte sich so schnell zu einem Ort der imaginierten Gleichheit, des Vertrauens und des Austauschs untereinander. Er ermöglichte zudem den Austausch und das Kennenlernen in anderen Online- und Offline- Räumen und Netzwerken. Die verschiedenen redaktionellen Angebote, Foren und Kommunikationsmittel bedienten dabei unterschiedliche Präferenzen im Kommunikationsverhalten. In Anlehnung an Miller und Slaters (2000: 85-87) „Being Trini“ kann gesagt werden, dass das Indernet seinen Nutzer_innen und Redakteur_innen ermöglichte ‚Indisch zu sein‘ oder genauer ‚gleichzeitig Indisch und Deutsch zu sein‘ oder in Mecherils (2003) Begrifflichkeit fraglos als natio-ethno-kulturell (mehrfach-)zu¬gehörig anerkannt zu werden.

Wobei aber natürlich nicht alle, die in Deutschland sozialisiert wurden und dort als Inder_innen wahrgenommen werden, das Indernet als ihren Raum ansehen. Für einige ist die virtuelle Kommunikation nicht die passende, für andere sind die Inhalte der Kommunikation nicht ansprechend und wieder für andere ist der Zusammenschluss auf Basis von natio-ethno-kultureller Gleichheit ein fraglicher (vgl. Paske 2006: 7-8) oder wird die (re)produzierte Heteronormativität als Ausgrenzung erlebt (vgl. Goel 2007a: 176-178).

3 Der Indienboom und seine Auswirkungen

„Indische Filmmusik und Hochzeitstänze unterlegt mit Bässen: Das Indienfieber hat die deutschen Clubs erfasst. Partys wie Bombay Mix, Asian Beatz oder Munich Masala gehören zum Repertoire der Discos in Hamburg, Berlin und München. Die DJs heißen DrJee oder Inspector Bang.“ (Dresdner Neue Nachrichten Online, 13.08.2003)

Diese dpa-Meldung wird im Sommer 2003 nicht nur von den Dresdner Neuen Nachrichten abgedruckt, auch bei n-tv.de, in der Ostsee-Zeitung, auf rtl.de und bei yahoo! wird der Artikel unterschiedlich redigiert veröffentlicht. Kurz darauf veröffentlichen auch die Kölnische Rundschau und das Funkhaus Europa des WDR selbst recherchierte Berichte über den ‚Indienboom‘. Punjabi MC läuft im Radio und auf Partys. Indien ist im Trend und die Medien berichten darüber. Als Expert_innen zitiert werden dabei immer wieder auch Redakteur_innen des Indernets, dessen Bekanntheitsgrad so weiter steigt. Die Kölnische Rundschau schreibt am 22.08.03:

„Das zunehmende Interesse an Indien bekommen auch die Redakteure des ‚Indernet‘ zu spüren. Das Indienportal für Deutschland (…) verzeichnet 17 000 Zugriffe im Monat. Zuerst gedacht für Asiaten, vor allem Inder der zweiten Generation, mausert sich das Indernet mit seinen Rubriken von Nachrichten über Kultur bis hin zu indischen Witzen mehr und mehr zur Plattform für alle Indien-Interessierten. Anmeldungen für Newsletter, Beiträge in den Diskussionsforen – Deutsche ohne indische Wurzeln sind mittlerweile keine Seltenheit mehr.“

Das zunehmende Interesse für Indien, das Indernet und indische Partys war auch für mich während des ‚Indienbooms‘ spürbar und wurde in vielen Interviews bestätigt. Seit der ersten Indian Night 1996 in Frankfurt/Main und der ersten Munich Masala 1999 in München, die beide als Räume für als Inder_innen wahrgenommene Menschen initiiert wurden , hatte sich die Partylandschaft massiv verändert. Immer mehr Menschen kamen zu den Partys und immer mehr Partyveranstalter_innen versuchten sich zu etablieren. Der Veranstaltungskalender auf dem Indernet wurde von den Partyorganisator_innen und den Nutzer_innen viel genutzt, die Partys in den Foren vor- und nachdiskutiert, Berichte und Fotos wurden online gestellt. Bekanntschaften aus dem Indernet wurden bei Partys gefestigt, neue Partybekanntschaften auf dem Indernet weiter gepflegt. Auch das Indernet-Team entschloss sich im Jahr 2002, eine eigene Party zu organisieren . Viele in Deutschland sozialisierte und dort als Inder_innen wahrgenommene junge Menschen fuhren von Party zu Party, genossen das niemals zuvor so große Angebot und die neue Anerkennung für ‚indische‘ Musik. Bei meinen Interviews im Jahr 2004 war die Begeisterung allerdings schon etwas abgeflaut. Viele der neuen Partys entpuppten sich als Eintagsfliegen von eher mäßiger Qualität. Das große Angebot nahm den einzelnen Partys den speziellen Charakter und bald war die Nachfrage bei vielen eher gesättigt, wie eine Nutzer_in mir im Interview erzählte:

„Also das war dann in so einer Phase, wo so viele Partys plötzlich waren. Dann war man sehr viel unterwegs. Und irgendwie hat es mir nach einer Zeit gereicht. (…) Ich glaube ich war noch bei dieser Indian Night in Frankfurt und das ist ja immer im November/ Dezember. Danach hatte ich irgendwie nicht mehr das Bedürfnis auf die Partys, nicht mehr so wirklich. Und dann bin ich auch auf keine mehr gegangen.“

Die Partys entwickelten sich von einem Treffpunkt für in Deutschland sozialisierte und dort als Inder_innen wahrgenommene junge Menschen, die für diese Partys durch die ganze Republik reisten, zu Partys für Menschen, die sich unabhängig von ihrer natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit für ‚indische‘ Musik interessieren. Mit den neu gewonnenen Besucher_innen gingen aber auch alte verloren, die die Partys nicht mehr als ihren Raum erlebten, wie eine andere Nutzer_in im Interview ausführte:

„Bis Februar/ März bin ich noch hingegangen zu Munich Masala. Jetzt bin ich schon, glaube ich, die letzten drei Male oder so nicht mehr da gewesen, (…) weil ich gemerkt habe, dass es stagniert, dass es immer weniger Inder sind, die da hingehen und eher mehr Europäer und das Fest selbst, wie es ablief, da habe ich mich nicht mehr so wohl gefühlt.“

Zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2004 erfüllte das Indernet noch die Funktion des Raums von natio-ethno-kulturell Gleichen, aber auch hier war merklich, dass immer mehr ‚Andere‘ es nutzten (vgl. Goel 2008a: 215-217). In den Foren war deren aktive Beteiligung eher gering, aber die Zugriffszahlen insgesamt gingen hoch, die Medienberichterstattung nahm zu und in meinen Interviews erzählten mir viele, dass sie das Indernet beobachten, um Informationen über ‚Inder_innen‘ in Deutschland und Indien zu bekommen (vgl. Goel 2007c: 219-223). Neben der Ermöglichung von Kommunikation konnte das Indernet nun vermehrt auch das selbstgesetzte Ziel der Information erfüllen (vgl. Goel 2007c: 210-211). Gegen die Indienbilder der Dominanzgesellschaft und jene der Eltern setzen die Redakteur_innen und Nutzer_innen ihre eigenen Bilder, mit denen sie sich besser identifizieren konnten (vgl. Goel 2007c und 2008a). Dies entspricht dem was Miller und Slater (2000: 103-114) als „Representing Trinidad“ bezeichnen und in Bezug auf das Indernet als ‚Indien repräsentieren‘ und auch ‚Inder_innen in Deutschland repräsentieren‘ umschrieben werden kann. Es geschieht mehr oder weniger bewusst vor allem über die redaktionelle Beiträge, darüber was wie thematisiert wird und was nicht. Gleichzeitig werden die Diskussionen in den Foren von vielen Beobachter_innen auch als Informationen über Inder_innen und Indien verstanden (vgl. Goel 2007c: 219-220).

Die Medienberichte und meine Interviews mit Journalist_innen aus der Dominanzgesellschaft deuten darauf hin, dass die Redakteur_innen und Nutzer_innen des Indernets aufgrund ihrer zugeschriebenen Herkunft und des professionellen Anscheins des Internetportals als authentisch und als Expert_innen wahrgenommen werden (vgl. Goel 2008a: 226-227). Dies wirft die von Castro Varela und Dhawan (2007) diskutierten Probleme der Unmöglichkeit adäquater Repräsentation (32-36) und der Konstruktion von authentischen Stimmen (39-42) auf: „Wer also glaubt, dass ein ‚Migrant‘ – selbst wen er von MigrantInnen gewählt worden wäre – wahrhaftig die Interessen der MigrantInnen vertritt, verkennt die Kompliziertheit des Repräsentationsprozesses; träumt weiterhin den Traum von einem Leben außerhalb der Macht.“ (34)

Das Indernet, seine Redakteur_innen und Nutzer_innen (re)produzieren permanent Bilder von Indien und werden dabei beobachtet. Das neue Medium Internet gibt diesen Bildern eine Öffentlichkeit, die vorher so nicht gegeben war und erweitert so dass in deutscher Sprache verfügbare Spektrum von Indienbildern. Diese Bilder sind aber nicht ‚richtiger‘ oder ‚objektiver‘ als andere. Sie kommen lediglich aus einer anderen gesellschaftlichen Positionierung und (re)präsentieren andere Perspektiven.

Auf den ‚Indienboom‘ der Jahre 2002/03 ist mittlerweile die Bollywood-Begeisterung gefolgt. Indische Filme werden im Fernsehen gezeigt, Shah Rukh Khans Besuch bei der Berlinale 2008 führt zu nie dagewesenen Fananstürmen und im Internet gibt es unzählige Bollywood-Foren. Immer mehr nicht als Inder_innen wahrgenommene Menschen begeistern sich für Indien, nehmen Informationen begierig auf und suchen Austauschmöglichkeiten. Die Möglichkeiten, sie mit Informationen zu versorgen, steigen und gleichzeitig nimmt damit die Möglichkeit ab, eigene Räume für natio-ethno-kulturell Gleiche aufrecht zu erhalten.

4 Tot oder lebendig?

„Hier ist es ja wie auf einem Friedhof“ schrieb am 05.10.2007 eine regelmäßige Nutzer_in ins Forum, in dem zu diesem Zeitpunkt sehr wenig los war. Während die vorübergehende Nichterreichbarkeit des gesamten Internetportals im Sommer 2002 der Entwicklung des Indernets nicht geschadet hat, führte eine technische Krise im Sommer 2005 zu einer nachhaltigeren Nutzungsveränderung. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde das Forum sehr rege genutzt, zum Teil liefen Konversationen mit direkten Antworten wie in einem Chat. Als Beobachterin hatte ich den Eindruck, dass das Forum für einige Nutzer_innen ein regelmäßiger Treffpunkt war, an dem sie sich über Wichtiges und vor allem über Unwichtiges unterhalten konnten (vgl. Goel 2007c: 211-212). Viele schienen täglich ins Forum zu kommen, einige schienen das Forum immer geöffnet zu haben, wenn sie online waren. Im Sommer 2005 gab es dann wiederholt technische Probleme. Zum Teil war das Forum gar nicht nutzbar, zum Teil nur sehr eingeschränkt. Die Probleme zogen sich über Wochen und Monate hin. Eine der Nutzer_innen eröffnete daher ein „Ausweichforum“, damit die Indernetnutzer_innen sich weiter austauschen können. Gedacht war dieses Forum zu Beginn wohl tatsächlich nur als ein temporärer Ersatz und wurde dafür auch von den Nutzer_innen gut angenommen. Die Indernetredakteur_innen scheinen das Ausweichforum aber von Anfang an als Konkurrenz angesehen zu haben, kooperierten nicht mit ihm und beschuldigten seine Webmaster_in das Indernet unerlaubterweise zu kopieren und ihm Nutzer_innen abzuziehen. Der Konflikt eskalierte und das ehemalige Ausweichforum etablierte sich als selbständiges Forum Indermezzo, auf dem sich noch heute viele früher auf dem Indernet sehr aktive Nutzer_innen regelmäßig austauschen. Das Indernetforum hingegen ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels imDezember 2008 nun schon mehrere Monate ohne jegliche Begründung komplett offline bzw. produziert Fehlermeldungen, wenn ich es öffnen möchte . Schon vorher wurde in ihm nur sehr wenig gepostet. Das Überraschende war, dass überhaupt noch jemand postete, wie eine Antwort auf obenstehendes Zitat am 05.10.2007 zeigt: „Immerhin gibt es ab und an mal einen vereinzelten Friedhofsbesucher....... Cool“.

Kurz zuvor hatte ich bei einer früher sehr regelmäßigen Poster_in nachgefragt, warum sie denn noch ab und zu im Forum auftaucht, und bekam am 27.09.2007 folgende Antwort:

„Ich denke von einer Wiederbelebung des Forums kann keine Rede sein. Es gab wohl mal kurzzeitig wieder einen leichten Anstieg, aber auch der scheint mittlerweile wieder abgeflaut zu sein. Genau weiß ich das nicht, da ich nur noch sporadisch reinschaue, wenn ich gerade nichts anderes zu tun habe. Warum ich überhaupt noch reinschaue, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Es gibt keinen logischen Grund. Ich glaube, dass durch meine damalige häufige Präsenz einfach noch eine Gewohnheit da ist. So ganz aufgegeben habe ich das Forum dann doch nicht. Ab und an trifft man ja noch auf alte Bekannte. Im Indermezzo war ich eine Zeitlang recht aktiv. Mittlerweile ist das dort zum vollwertigen Indernekonkurrenten geworden, und einige die durch die ständigen Indernetausfälle rüber gewandert sind, sind letztendlich dort geblieben. Da schaue ich öfters rein, weil manchmal recht interessante Beiträge drinstehen.“

Für einige Nutzer_innen scheint der Forenbesuch über die Zeit eine solche Alltäglichkeit geworden zu sein, dass sie trotz weitgehendem Stillstand immer wieder reingegangen sind . Mit den anderen Nutzer_innen scheint eine so starke Bekanntschaft entstanden zu sein, dass auch ein kurzer allgemeiner Austausch nach längerer Zeit angenehm ist. Einige der ehemals regelmäßigen Poster_innen (aber bei weitem nicht alle) haben ihren Austausch ins Indermezzo verlegt, das sein eigenes vom Indernet verschiedenes Profil entwickelt hat . Andere scheinen in andere soziale Netzwerke im Internet wie StudiVZ, wo es auch eine InderKinder-Gruppe gibt, oder Facebook abgewandert zu sein, wie auch folgender Forumseintrag vom 02.04.2007 andeutet: „Nichts für ungut, aber dieses Forum hier ist mehr tot als lebendig. Laughing. Ich glaube die meisten sind jetzt im StudiVZ.“

Die Redakteur_innen des Indernets haben verschiedentlich versucht, die neuen Möglichkeiten des Web 2.0 auch auf ihrem Portal zu implementieren. So gab es schon 2003 eine Berichterstattung mit Audiobeiträgen, anlässlich von unterschiedlichen Ereignissen wurden Weblogs mit dem Indernet verbunden, im Forum gab es eigene Nickpages, im StudiVZ wurde eine eigene Gruppe eingerichtet und auf der Startseite wurden YouTube-Videos eingebunden. All diese Initiativen verblieben allerdings im Versuchsstadium, keine davon konnte sich wirklich etablieren. Auch das Design der Seite ist immer noch das gleiche, welches in den Interviews 2004 als dringend zu erneuern bezeichnet wurde. Während sich das Indernet am Anfang durch aktuellste Technik und professionelles Design ausgezeichnet hat, hinkt es inzwischen der Entwicklung hinterher. Über die Gründe hierfür kann ich nur Vermutungen anstellen. Zentral wird dabei sein, dass viele der Gründer und Redakteur_innen der Anfangszeit über die letzten acht Jahre ihre Mitarbeit wesentlich einschränken mussten bzw. ausgeschieden sind, da ihr Studium mehr Zeit in Anspruch nahm und mittlerweile viele berufstätig sind. Unter den fünf Ende 2008 im Editorial als Hauptverantwortliche aufgeführten Redakteur_innen sind drei schon fast von Anfang an dabei und nur eine ist erst nach 2005 dazugekommen. Dies werte ich als ein Anzeichen dafür, dass die Redaktion und das Konzept des Portals relativ starr geblieben sind und sich nicht dynamisch an die verändernde Umwelt anpassen konnten. So ist bei mir der Eindruck des Stillstandes und des Bedeutungsverlustes entstanden. Als ich im Herbst 2007 eine statistische Übersicht über die Zugriffszahlen (Abbildung 2) von der Redaktion zur Verfügung gestellt bekommen habe, überraschte mich daher deren konstant hohes Niveau.

Wenn diese Statistik ein gutes Abbild von tatsächlichen Zugriffszahlen ist , dann hat sich der Grad der Nutzung seit dem Sommer 2005 (also der Zeit der Krise im Forum) auf wesentlich höherem Niveau als während des ‚Indienbooms‘ stabilisiert. Das Indernet scheint weiterhin, von vielen als ein attraktives Informationsangebot wahrgenommen zu werden. Dieser Eindruck bestätigt sich auch auf Konferenzen zum Themengebiet Migration und Internet, wo immer wieder positiv auf das Indernet Bezug genommen wird. Nachdem die zur Zeit meiner Interviews zentralen Angebote des Internetportals (das Forum und der Veranstaltungskalender) nicht mehr aktiv sind, müssen es jetzt die redaktionellen Angebote sein, die Nutzer_innen anziehen. Dabei fällt mir als regelmäßiger Beobachterin auf, dass sämtliche Rubriken seit mehreren Monaten bis Jahren nicht mehr aktualisiert wurden. Für eine flüchtigere Nutzer_in mögen die vielen über die Jahre gesammelten Artikel aber immer noch interessant sein. Auf der Startseite werden unregelmäßig alle paar Wochen neue Artikel hochgeladen. Viele von diesen sind von Redakteur_innen geschrieben, die zur Zeit meiner Interviews noch nicht dabei waren und deren Namen vermuten lassen, dass sie natio-ethno-kulturell der Dominanzgesellschaft zugehörig sind . Die meisten neuen Artikel betreffen den Unterhaltungssektor, insbesondere Film und Musik. Desöfteren scheinen auch, Pressemitteilungen von kommerziellen Anbieter_innen aus der Unterhaltungsbranche unverändert hochgeladen zu werden. Generell ist zu beobachten, dass das Indernet immer wieder als Medienpartner für indienbezogene Veranstaltungen, wie z.B. Filmfestivals, auftritt. Dies könnte darauf hindeuten, dass zunehmend kommerzielle Zwecke mit dem Internetportal verfolgt werden, wenngleich die Redaktionsarbeit wohl weiterhin unbezahlt geleistet wird.

Mein Eindruck ist, dass sich in den letzten acht Jahren eine Veränderung der Zielsetzung des Indernets vom ‚Indernetzwerk‘ zum ‚Indienportal‘ ergeben hat. Betonte die Projektbeschreibung vom 26.12.2000 noch: „Unser Ziel ist es, junge Inderinnen und Inder im Internet zusammenzubringen, die Kommunikation untereinander zu fördern, Projekte unserer Mitglieder/innen vorzustellen und über Indien an sich zu informieren“, ist mittlerweile die Schaffung eines Raumes für natio-ethno-kulturell Gleiche nicht mehr das dominante Ziel. Seit dem Sommer 2006 ist die Projektbeschreibung sehr viel marketingstrategischer formuliert (vgl. Goel 2007b: 227-228). Das veröffentlichte Ziel ist nun:

„Schaffung eines virtuellen Raumes, um die Bildung von Netzwerken von Menschen mit Interesse an Indien zu vereinfachen. Bereitstellung einer Plattform für Kommunikation, Information und Unterhaltung rund um das Thema Indien bzw. indisches Leben in Deutschland. Zentrale Vernetzung der in On- und Offlinemedien veröffentlichen Informationen zum Thema Indien/Indien in Deutschland. Förderung des interkulturellen Dialogs. Unterstützung der gesellschaftlichen Integration indischer Mitbürger im deutschsprachigen Raum. Das Indernet - eine Plattform für interkulturelle Kommunikation, Integration und hochwertigen Informationsgehalt rund um das Thema Indien. Das Indernet - am Puls der Community.“ (aus der Projektbeschreibung am 05.01.09)

Während die frühen Projektbeschreibungen eine klare Verankerung unter den in Deutschland sozialisierten und dort als Inder_innen wahrgenommenen jungen Menschen zeigen, spiegelt die aktuelle Projektbeschreibung eine Ausrichtung auf die aktuellen Diskurse der Dominanzgesellschaft wider. Schlagworte wie „Förderung des interkulturellen Dialogs“ oder „Unterstützung der gesellschaftlichen Integration indischer Mitbürger“ entstammen dem ausgrenzenden Sprachschatz des aktuellen Integrationsdiskurses (vgl. Böcker et al. 2009) und nicht der Perspektive derer, denen durch diesen Integrationsdiskurs die natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-)Zugehörigkeit in Frage gestellt wird. Das Indernet scheint in diesen Formulierungen weniger Teil der ‚Community‘ zu sein, als anderen den Zugang zu dieser ermöglichen zu wollen.

5 Potentiale des Internets

Das Internet ermöglicht mit wenigen Ressourcen das Schaffen von eigenen Räumen (vgl. Stegbauer 2000: 20) und damit einer Öffentlichkeit weitgehend unabhängig von den hegemonialen Machtverhältnissen offline (vgl. Miller/Slater 2000: 3 und 18 sowie Mandaville 2003: 135). Traditionelle Eliten der Dominanzgesellschaft wie der Migrant_innen haben bisher online nur begrenzte Kontrollmöglichkeiten (vgl. Thimm 2000b: 8) und können daher online einfacher als offline umgangen werden (vgl. Mandaville 2003: 144). Daher wird das Internet von vielen als ein Weg zum Empowerment von bisher relativ Machtlosen gesehen (vgl. Slevin 2000: 5), dass ihnen eine Stimme gibt (vgl. Mitra 1997: 73) und ihnen Partizipation ermöglicht. Einer der Gründer des Indernets formuliert das im Interview wie folgt: „Es ist halt schwierig sich über andere Medien, über Printmedien, sich mal so zu präsentieren, einfach so aus Spaß und so ist das [die Gründung des Indernets, ug] eigentlich geworden.“ Das Internet bot erst das Medium mit dem sich in Deutschland sozialisierte und dort als Inder_innen wahrgenommene junge Menschen eine Öffentlichkeit schaffen und ihre Stimme erheben konnten.

Allerdings kann die Stimme auch in einer Kakophonie von Stimmen untergehen (vgl. Mitra 1997: 73), der Zugang zum Internet alleine reicht nicht, damit die Stimme auch gehört wird. So gab es vor der Gründung des Indernets (und auch danach) andere Versuche im Internet, eine Öffentlichkeit für in Deutschland sozialisierte und dort als Inder_innen wahrgenommene junge Menschen zu schaffen, die viel weniger erfolgreich waren. Das Spezielle am Indernet ist, dass es durch die Kompetenzen der Gründer und deren geschicktes Netzwerken gelang, eine große Öffentlichkeit für das Portal zu schaffen, Nutzer_innen zu binden und Redakteur_innen zu gewinnen. Anteil an dem Erfolg hatte sicher auch die doppelte Zielsetzung, sowohl Kommunikation unter natio-ethno-kulturell Gleichen zu ermöglichen als auch Informationen über Indien zur Verfügung zu stellen. Der Aspekt der Kommunikation stand insbesondere in den ersten Jahren im Mittelpunkt und führte zu einer starken Bindung von im deutschsprachigen Raum sozialisierten und dort als Inder_innen wahrgenommenen jungen Menschen an das Indernet. Es bot ihnen einen Raum in dem ihre natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-)Zugehörigkeit selbstverständlich war und sie keine Ausgrenzung oder Erklärungsdruck auf natio-ethno-kultureller Basis befürchten mussten (vgl. Goel 2005b und 2007b). Vermutlich weil die Kommunikation in den Foren in den ersten Jahren von dieser Gruppe geprägt war, nahmen nur wenige Angehörige der Dominanzgesellschaft oder der angeworbenen ‚Computer-Inder_innen‘ an den Diskussionen aktiv teil . In den ersten Jahren des Indernets schienen auch die angebotenen Informationen vor allem auf die in Deutschland sozialisierten und dort als Inder_innen wahrgenommenen jungen Menschen ausgerichtet zu sein. Sie konnten sich sowohl darüber informieren, was in Deutschland passiert als auch Informationen über ihr zugeschriebene Herkunft bekommen. Letzeres ist bedeutend, da viele nur relativ wenig Wissen über Indien haben, aber permanent von der Dominanzgesellschaft dazu aufgefordert werden, Aussagen über Indien zu machen (vgl. Goel 2007c: 223-224 und 2008a: 214-215).

Gleichzeitig diente das Indernet auch dazu, ein eigenes Indienbild in Abgrenzung zu den Bildern der Dominanzgesellschaft und der Eltern darzustellen und damit mehr Anerkennung zu gewinnen (vgl. Goel 2007c: 223-225). Die Redakteur_innen profitierten hier davon, dass das Medium Internet die Entstehung von neuen Eliten und Sprecher_innen online ermöglichte (vgl. King 2003: 179 und Mandaville 2003), die zumindest am Anfang in der Regel jünger und technikkompetenter waren als die traditionellen offline. Diese neuen Repräsentant_innen, zu denen die Redakteur_innen und zum Teil auch die Nutzer_innen des Indernets gehören, stellen sich und ihre Ansichten im Internet dar und schaffen so neue Öffentlichkeiten und Bilder. Es entstehen so Räume für neue Verständnisse und Interpretationen (vgl. Mandaville 2003: 147 und Anderson 1999) und damit Neues. So spricht Mandaville (2003: 139), zum Beispiel, von einem neuen „Soundbite Islam“, der von jungen Ingenieur_innen und nicht von geschulten Geistlichen geprägt wird. Im Falles des Indernets entsteht ein in Deutschland verankerter Bezug zu Indien (vgl. Goel 2008d). Mit dem Erscheinen dieser neuen Sprecher_innen stellt sich allerdings auch die Frage ihrer Glaubwürdigkeit und des Vertrauens in die neuen Eliten (vgl. King 2003: 179 und Mandaville 2003: 145). Beim Indernet scheint letzteres in einem hohen und weitgehend unhinterfragten (vgl. Castro Varela/Dhawan 2007) Maß gegeben zu sein. Das Indernet hat so das Indien- und Inder_innenbild in Deutschland in den letzten Jahren stark mit prägen können.

Die Ausrichtung auf den Informationsbedarf der Dominanzgesellschaft steht dabei allerdings notwendigerweise im Konflikt mit der Schaffung eines geschützten Raumes für natio-ethno-kulturell Gleiche. Mit der vermehrten Offenheit gegenüber der Dominanzgesellschaft nehmen auch deren Perspektiven und Normen mehr Raum ein und lassen abweichenden Perspektiven weniger Spielraum (vgl. Goel 2007a). Wer an den Strukturen und Ressourcen der Dominanzgesellschaft partizipieren will, muss nach deren Regeln spielen und verliert dadurch Freiraum (vgl. Goel 2008c: 120-121) - und im Falle des Indernets möglicherweise auch die Bindung der primären Zielgruppe.

Dabei ist acht Jahre nach der Gründung des Indernets deutlich, dass es weiter einen Bedarf an Austausch unter natio-ethno-kulturell Gleichen und Informationen über Indien und ‚Indien in Deutschland‘ gibt. Viele der ehemaligen Nutzer_innen haben ihren Bedarf gestillt und sind weitergezogen. Aber andere im deutschsprachigen Raum sozialisierte und dort als Inder_innen wahrgenommene junge Menschen konnten das (noch) nicht und sind auf der Suche. So erreichen mich immer wieder Emails von jungen Menschen, die nach Austauschmöglichkeiten suchen und über meine Webseite auf Informationen über das Indernet und als Inder_innen wahrgenommene Menschen in Deutschland gestoßen sind. Einige finden dafür Orte on- oder offline, andere nicht und wieder andere suchen gar nicht. Das Indernet spielt hierbei aber keine bedeutende Rolle mehr.

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Siehe auch:

 

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