Veröffentlichungen von Urmila Goel / Desis in Deutschland

Forschungsprojekt: Die virtuelle zweite Generation

Ein Raum für die Uneindeutigen

Das Internetportal Indernet

von Urmila Goel

erschienen in: Antje Gunsenheimer (Hrsg., 2007), Grenzen Differenzen Übergänge - Spannungsfelder inter- und transkultureller Kommunikation, Bielefeld: transcript, 215-230.

Anmerkung: Für die vollständige Bibliographie und Fußnoten biete die Druckversion beachten.

Gliederung:

  1. Die Notwendigkeit des eigenen Raums
  2. Differenzen und Machtverhältnisse
  3. Die Uneindeutigen
  4. Das Indernet
  5. Verbundene Räume
  6. Die Dominanz des rassistischen Diskurses

Als das Internetportal http://www.theinder.net, genannt das Indernet, im Jahr 2000 online geht, beschreibt es sich als „junge indische Internet-Community“, deren primäre Zielgruppe „die Generation junger, in Deutschland lebender Inder“ ist. In der englischen Version heißt es 2005 noch genauer, dass die Zielgruppe primär “2nd generation Indians living in Germany” ist, also die ‚zweite Generation InderInnen in Deutschland’. Das Indernet entwickelt sich, wie sich im Laufe des Forschungsprojekts „Die virtuelle zweite Generation“ gezeigt hat, tatsächlich zu einem ‚Raum der zweiten Generation’ (vgl. Goel 2005 sowie Heft und Goel 2006), einem Raum, in dem ‚InderInnen der zweiten Generation’ die Norm darstellen, in dem sie unter sich sein können.

Die Notwendigkeit des eigenen Raums

Die zentrale Fragestellung des Forschungsprojekts sowie dieses Artikels ist jene nach der Notwendigkeit eines solchen eigenen Raumes. Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurse über ‚MigrantInnen’, ‚AusländerInnen’ bzw. ‚Fremde’ suggerieren, dass es auf Seiten der ‚Anderen’ ein Problem der ‚Integrationsunwilligkeit’ gibt sowie dass parallele Strukturen entstehen, die diese ‚Unwilligkeit’ noch weiter fördern. Die Schaffung eines ‚indischen’ virtuellen Raums, der in ‚Deutschland’ lokalisiert ist, kann auch vor diesem diskursiven Hintergrund gelesen werden. Die Forschungsfrage ist dann: Handelt es sich beim Indernet um einen ‚Parallelraum’, durch den sich die ‚InderInnen der zweiten Generation’ der ‚deutschen’ Gesellschaft entziehen und der ‚Integration’ verweigern?

Auch wenn sich allgemein die Vorwürfe der ‚Integrationsverweigerung’ und der Schaffung von ‚Parallelgesellschaften’ eher auf ‚türkische MigrantInnen’ als auf die sozial und ökonomisch besser gestellten ‚InderInnen’ beziehen, ist dies keine hypothetische Frage, wie die Aussage eines meiner Interviewpartner zeigt. Der freiberufliche ‚weiße’ Journalist antwortete auf die Frage nach Problemen beim Indernet unter anderem:

Ein Problem, das sicherlich auch über das Indernet hinausgeht (was mich manchmal auch schon ins Grübeln gebracht hat), ist, dass natürlich hier schon auch zu erkennen ist, wie hoch dieser Identifizierungsgrad mit der ursprünglichen Heimat ist. Was ja auch im Umkehrschluss darauf verweist, dass ganz offensichtlich die Integration in die neue Heimat nicht zu 100 Prozent abgedeckt ist und dass natürlich Angebote, die eigentlich den Zusammenhalt untereinander stärken, doch dazu führen können, dass die Integration in die neue Heimat vielleicht auch erschwert wird.

Das Schaffen eines eigenen Raums und der Zusammenhalt untereinander wird also auch bezogen auf das Indernet von BeobachterInnen als ein Problem im Hinblick auf ‚Integration’ angesehen.

Die Diskussionen, die in Heft und Goel (2006, S. 10 - 14) dokumentiert werden, zeigen auf analytischer Ebene, dass das Indernet mit Räumen von jungen ‚Muslimen der zweiten Generation’, wie z. B. der Berliner Frauengruppe der Muslimischen Jugend, in seinen Funktionen für die einzelne NutzerIn durchaus verglichen werden kann, wenn auch die Räume jeweils vollkommen anders gestaltet und konnotiert sind. Dieser Artikel diskutiert im Folgenden, welches diese Funktionen sind, warum ‚MigrantInnen der zweiten Generation’ ein Bedürfnis nach eigenen Räumen haben und wie dieses aus den Normsetzungen der ‚weißen’ Gesellschaft entsteht.

Dabei nimmt der Artikel einen Perspektivenwechsel vor. Anstatt wie sonst häufig aus einer angeblich objektiven ‚weißen’, also hegemonialen Perspektive über die ‚Anderen’ zu sprechen, stellt er die Perspektive der ‚Uneindeutigen’, derer, die sich den Dichotomien eindeutiger nationaler Zugehörigkeit entziehen, in den Mittelpunkt und analysiert diese. Mecheril (2003, S. 33 - 34) begründet die Notwendigkeit dieses Wechsels wie folgt:

Dem objektivierenden Sprechen-Über ziehe ich ein Sprechen-Über das Sprechen der Subjekte vor. Ein bedeutsames Verfahren besteht hierbei darin, die Handelnden selbst zu Wort kommen zu lassen, ohne dabei dem Trugschluss zu erliegen, ein wissenschaftlicher Text könne dieses Zu-Wort-gekommen-Sein ‚authentisch’ repräsentieren. Ich ziehe eine Sozialwissenschaft im Bereich der Untersuchung Anderer Deutscher vor, die ihren Ausgang in den – wie noch zu zeigen sein wird: prekären – Kategorien und Selbstverständnissen derer nimmt, die im Mittelpunkt des Interesses stehen: Andere Deutsche. Diese Art von Sozialwissenschaft zeichnet eine Sensibilität dafür aus, wann Möglichkeiten, sich selbst zu definieren und zu beschreiben, verhindert werden. Sie tritt – die Paradoxie des Unternehmens bedenkend – für die Hörbarkeit der Stimmen Anderer ein …

Bevor allerdings das Indernet als ein Raum, an dem die Geanderten ihre Stimme erheben (können), analysiert werden kann, wird zunächst der theoretische Rahmen der Analyse dargelegt.

Differenzen und Machtverhältnisse

Theoretischer Ausgangspunkt der Analyse ist die Feststellung, dass alle sozialen Identitäten durch gesellschaftliche Prozesse konstruiert werden und durch diese erst ihre reale Wirksamkeit erhalten (vgl. Jenkins 1996 sowie 1997, Barth 1969, Cohen 1985 und Brubaker 2004). Da in den meisten Diskursen soziale Identitäten als etwas natürlich Gegebenes angesehen werden, wird ihre Konstruiertheit in diesem Artikel durch einfache Anführungsstriche betont. So hinterfragt ‚InderInnen’ die Bedeutung dessen, was ‚indisch’ sein soll, zeigt ‚Deutschland’ an, dass von sehr unterschiedlichen ‚Deutschlanden’ (z. B. der BRD heute und vor der Vereinigung) die Rede ist, und betont die ‚zweite Generation’, dass hier eine Kategorie geschaffen wird, die verallgemeinernd, homogenisierend und verzerrend ist. Wie Mecheril (2003, S. 9) argumentiert, gibt es keine richtigen Begriffe, auf die zurückgegriffen werden kann, denn „[j]ede Bezeichnung [ist] in ihrer Art (un)angemessen, weil sie (nur) bestimmte Aspekte fokussiert“. Die Fokussierung auf bestimmte Aspekte in diesem Artikel, insbesondere auf natio-ethno-kulturelle Konstruktionen, führt dazu, dass nur diese explizit markiert werden.

Besonders interessieren in diesem Artikel jene Festlegungen von Differenzen physiognomischer und sozialer Merkmale, die die hegemoniale Vormachtstellung der ‚Weißen’ legitimieren und sichern. Die Analyse gründet sich somit auf die Theoretisierung von Rassismus und seinen Folgen (siehe insbesondere Mecheril 2003, aber auch Hall 2000, Miles 2000 und Terkessidis 2004). Mecheril (2003, S. 67) definiert dabei Rassismus wie folgt:

‚Rassismus’ ist eine Bezeichnung für Diskriminierungs- und Distinktionspraxen auf der Ebene von (Nicht-)Wir-Zuschreibungen, die in mehrwertiger Weise – subtil und in gewisser Unabhängigkeit von den Intentionen der beteiligten Akteure – Verhältnisse der Dominanz zwischen Gruppen mit Hilfe von Herabwürdigungsprozessen bestätigen und herstellen.

Bei Rassismus handelt es sich damit nicht in erster Linie um die gewalttätigen Übergriffe Einzelner, sondern vor allem um die Strukturierung einer Gesellschaft nach rassistischen Kriterien der Differenzierung. Rassistisch Markierte machen in ihr alltäglich Rassismuserfahrungen, insbesondere subtile, ohne dass dies eine bewusste und gezielte Handlung des Gegenübers sein muss. Zur Analyse von Rassismus ist es daher produktiv, die Erfahrungen und Perspektiven der Geanderten, der rassistisch Markierten, in den Mittelpunkt zu stellen (vgl. Mecheril 2003, Terkessidis 2004, Badawia 2002 oder Battaglia 1995) und von ihrem Wissen zu lernen.

Das ... Wissen [über das ‚Objekt’, U. G.] bezeichne ich nicht als ‚Vorurteil’, sondern, weil es sich um einen verbreiteten gesellschaftlichen Wissensbestand handelt, als ‚rassistisches Wissen’. Dieser hegemonialen Wissensform steht ein lokales, gewissermaßen un- oder gar disqualifiziertes Wissen gegenüber, das ‚Wissen der Leute’ – in diesem Fall: das ‚Wissen über Rassismus’. Indem dieses Wissen ins Zentrum der Untersuchung gestellt wird, lässt sich der Apparat des Rassismus nicht nur abstrakt beschreiben, sondern in seinen konkreten Machtwirkungen auf die Betroffenen analysieren. (Terkessidis 2004, S. 10 - 11)

Mit dem Perspektivenwechsel auf die Erfahrungen rassistisch Markierter wird auch die in der Wissenschaft implizit angenommene Objektivität ‚weißer’ (ForscherInnen-)Perspektiven (vgl. Wachendorfer 2001) in Frage gestellt. ‚Weiße’ sowie rassistisch Markierte (ForscherInnen) haben, wie die Kritische Weißseinsforschung (vgl. Eggers et al. 2005) betont, jeweils ihre eigene subjektive und vom Kontext beeinflusste Perspektive auf das von ihnen Beobachtete. Dabei unterscheiden sich die beiden Perspektiven dadurch, dass die ‚weiße’ Teil der hegemonialen Macht ist, über damit verbundene Privilegien verfügt und dabei weitgehend unmarkiert bleibt, während die Perspektive der Geanderten als partikular und subjektiv markiert wird. Dieser Artikel wendet sich explizit gegen den Vorwurf der einseitigen Subjektivität der rassistisch Markierten.

Dadurch, dass dieser Artikel rassistische Erfahrungen in den Mittelpunkt der Analyse stellt, vernachlässigt er notwendigerweise andere Perspektiven wie etwa Gender oder Klasse. Dies ist eine für diesen Artikel bewusst gewählte Fokussierung. Wie unter anderem Sharma und Nath (2005) gezeigt haben, muss hierbei allerdings die Intersektionalität, die Verschränkung verschiedener Differenz- und Ausgrenzungslinien, beachtet werden. So sind Rassismus, Heteronormativität und Fragen der Klassenunterschiede miteinander verbunden und können auch nur in ihrer Interaktion verstanden werden.

Die sexistische Kodierung der deutschen Sprache wird in diesem Artikel unter anderem durch den Gebrauch des ‚Binnen-I’ markiert. Dieses, genauso wie die einfachen Anführungszeichen für natio-ethno-kulturelle Konstruktionen, stört den Lesefluss bewusst, um so auf die zugrunde liegenden Normierungen und Essentialisierungen aufmerksam zu machen.

Die Uneindeutigen

Mit dem Begriff der Uneindeutigen beziehe ich mich auf Mecherils (2003) Analyse prekärer natio-ethno-kultureller (Mehrfach-)Zugehörigkeit (ohne dass er selber diesen Begriff benutzt). Mecheril (2003, S. 23 - 27) prägt das Kunstwort ‚natio-ethno-kulturell’, da er beobachtet, dass in ‚Deutschland’ die Bedeutungen der Begriffe ‚Nation’, ‚Ethnizität’ und ‚Kultur’ ineinander verschwimmen. Mit dem neuen Begriff will er die Mehrdeutigkeit, Ungenauigkeit und Komplexität dieser Kontexte deutlich machen.
Mecheril (2003, S. 118 - 251) argumentiert, dass natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit nach Kriterien der Eindeutigkeit definiert und normiert ist. Die Zugehörigkeitskonzepte teilen die Menschen in ‚Wir’ und ‚Nicht-Wir’ ein. Entweder gehört eine Person zu einem natio-ethno-kulturellen Kontext dazu oder nicht. Zwischenstufen dazu gibt es nicht. Die Feststellung der Zugehörigkeit einer Person zu einem Zugehörigkeitskontext orientiert sich dabei an dem jeweiligen fiktiven Prototyp des ‚Wir’.

Die prototypische Vorstellung, etwa, was es heißt, ein Deutscher zu sein (und das heißt: wie ein Deutscher aussieht, wie er sich gebärdet, welche Vorlieben und Empfindsamkeiten er hat, was ihn ekelt und was ihm Wohlbehagen bereitet), existiert als unwirkliche, nicht benennbare, gleichwohl praktisch wirksame, phantasmatische Struktur, die die Leerstelle zwischen Symbol und Bezeichneten füllt. ... Diese prototypische Vorstellung entsteht vor dem Hintergrund von kontextuell spezifischen Lebensbedingungen und einer Geschichte des kollektiven Umgehens mit diesen Bedingungen; er mag auch – ohne dass dies freilich notwendig wäre – mit Beobachtungen durchschnittlicher Handlungsindikatoren korrelieren, er ist aber beides nicht, weder verdichtetes Abbild der Lebensbedingungen noch Repräsentation eines mittleren, durchschnittlichen, also unwirklichen Handelns der Gruppe. (Mecheril 2003, S. 211 - 212)

Diesen fiktiven Prototyp bezeichnet Mecheril auch als ‚Standard-Deutschen’, der das Maß ist, an dem Abweichungen von der Norm gemessen werden. Als zugehörig werden nur jene wahrgenommen, die als nicht signifikant von diesem fiktiven Prototyp abweichend angesehen werden. So bestätigt und verfestigt die Vorstellung des fiktiven Prototyps und das mit ihm imaginierte Gemeinsame des ‚Wir’ Differenzen und Grenzen zu den ‚Anderen’. Die Abgrenzung geht (implizit) mit der Ausgrenzungen der ‚Anderen’ aus Räumen des ‚Wir’ einher. Der fiktive Prototyp bleibt dabei vage und undefiniert. Das konstruierte ‚Wir’ wird durch seine Unbestimmtheit gegenüber den ‚Anderen’ unangreifbar und dadurch wirksam (Mecheril 2003, S. 196). Jene, die aufgrund von physiognomischen oder sozialen Merkmalen als signifikant abweichend vom Prototyp angesehen werden, werden unweigerlich als ‚Andere’ definiert und können folglich nicht zum ‚Wir’ dazugehören.

Wenn die so definierten ‚Anderen’ sich nicht selbst als zu dem ‚Wir’-Kontext zugehörig empfinden (zum Beispiel ‚InderInnen’ in ‚Indien’ zu ‚Deutschland’), ist dieser Ausschluss keine Verweigerung von Zugehörigkeit. Letztere tritt erst dann ein, wenn sich Personen zu einem Kontext zugehörig fühlen, in dem sie als ‚Andere’ definiert werden. Sie machen dann eine negative Zugehörigkeitserfahrung (Mecheril 2003, S. 130). Diese gilt insbesondere für jene, die in Folge von Migration eine Zugehörigkeit zu mehreren natio-ethno-kulturellen Kontexten empfinden, da sie sich ihnen verbunden fühlen (Mecheril 2003, S. 218 - 251), dort wirksam handeln (Mecheril 2003, S. 161 - 217) und als Mitglied (Mecheril 2003, S. 138 - 160) anerkannt werden wollen. Mecheril (2003, S. 10) prägt zur Analyse ihrer Erfahrungen das Konzept der ‚Anderen Deutschen’:

Andere Deutsche sind Menschen, die ihre Lebensmitte in Deutschland haben, hier genügsam und maßlos sind, hier ihre Ausbildung absolvieren und erwerbslos sind, die in Deutschland wichtige Bezugspersonen haben, in Deutschland um ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Zukunft wissen, hier essen, lieben und streiten, ängstlich und zuversichtlich sind, mithin all das machen, was Menschen an dem Ort machen, an dem sie ihre Lebensmitte haben, die aber so weit von einem fiktiven, prototypischen Bild des oder der Standard-Deutschen abweichen, dass sie als zu weit abweichend und folglich nicht legitim zugehörig wahrgenommen und behandelt werden. ... Der Ausdruck ‚Andere Deutsche’ bezieht sich somit auf große Teile der in Deutschland lebenden Migrationsfolgegenerationen, auf ‚Schwarze Deutsche’ und auf Menschen, deren Eltern unterschiedliche ethnisch-nationale Herkünfte aufweisen.

Mecheril wählt für dieses Konzept den Begriff ‚Deutsche’, da er diesen unabhängig von Staatsbürgerschaft, familiären Verbindungen oder zugeschriebener Kultur definiert. ‚Deutsche’ sind für ihn jene, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland hatten, haben und haben werden. Da sie aber als solche nicht anerkannt werden, qualifiziert er diese ‚Deutsche’ als ‚Andere’.
‚Andere Deutsche’ entsprechen nicht der Logik eindeutiger natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit. Die mehrfach (und daher gar nicht) Zugehörigen, die Uneindeutigen, widersetzen sich der strengen Dichotomie des ‚Wir’ und der ‚Anderen’, sie lassen sich nicht eindeutig einordnen und stellen damit die Ordnung in Frage. Da sie in sich das Unvereinbare vereinbaren, werden sie in dieser Logik zu ‚Monstren’ (Mecheril 2003, S. 323 - 325). Die Ordnung erlaubt keine Übergänge, ihre Grenzen sind in ihrer Unbestimmtheit scharf definiert. Die Zugehörigkeit zu mehreren natio-ethno-kulturellen Kontexten ist nicht vorgesehen, nicht denkbar. Aber auch wenn sie nicht denkbar ist, ist natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-)Zugehörigkeit die Realität für viele.
Mecheril (2003, S. 27) weist durch die Einklammerung von Mehrfach darauf hin, dass bei ‚Anderen Deutschen’, die ihre Lebensmitte in ‚Deutschland’ haben und daher von ihm als ‚Deutsche’ definiert werden, die verschiedenen natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitskontexte nicht gleichwertig sind:

Die Einklammerung zeigt an, dass die vorliegende Arbeit sich weniger mit einem von einem Außenstandpunkt als gleichwertig und gleichbedeutend bezeichnenbaren Aufenthalt in zwei (oder mehr) natio-ethno-kulturellen Kontexten beschäftigt, sondern mit Zugehörigkeitswirklichkeiten in einem Handlungs- und Aufenthaltsraum, der ‚Deutschland’ genannt wird. Allerdings werden diese Zugehörigkeitswirklichkeiten befragt und sind unsicher, weil ihr besonderer Status von einem weiteren natio-ethno-kulturellem Bezug hervorgebracht wird.

‚Deutschland’ ist der alltäglich relevante, praktische Bezugspunkt. Das ‚Andere’ wird von dort aus imaginiert. Mecheril führt weiter aus:

Der je andere natio-ethno-kulturelle Kontext ist für Andere Deutsche hierbei aufgrund von Zuschreibungen, aufgrund von genealogischem Wissen um Herkunft und Abstammung, kraft Erzählungen (etwa der Eltern), durch Phantasmen und Auffüllungen von Leerstellen, aufgrund von Besuchen und zurückliegenden, aber auch geplanten Aufenthalten, kraft des Umstandes, eine prinzipielle Perspektive (etwa der Zuflucht) zu sein, bedeutsam. Er ist gegenwärtig aufgrund physiognomischer Zeichen und kultureller Fertigkeiten, aufgrund eines Habitus und einer Disponiertheit, die für alle ersichtlich ‚Anderssein’ indizieren.

Das ‚Andere’ erhält so lokalisiert in ‚Deutschland’ eine symbolische und damit reale Relevanz. ‚Deutschland’ bleibt dabei die Lebensmitte. Hier wird den ‚Anderen Deutschen’ aufgrund ihrer als signifikant angesehenen Abweichung vom fiktiven Prototyp die Zugehörigkeit verweigert, sie werden hier zu ‚Anderen’ gemacht, erfahren hier Ausgrenzungen, und im Falle von rassistisch Markierten machen sie hier auch Rassismuserfahrungen. Die Geanderten müssen damit genauso wie mit dem Druck zur eindeutigen Positionierung im Sinne der dichotomen Logik natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit umgehen. Dabei können sie sich allerdings nicht fraglos auf das ‚Andere’ beziehen, da sie auch dort erfahren, dass sie nicht fraglos dazugehören können. Dies ist der Fall für alle Geanderten unabhängig von Geschlecht, Schicht, Ausbildung, etc. Je nachdem, über welche Ressourcen die Einzelnen verfügen, inwieweit sie mehrfach marginalisiert sind bzw. entlang anderer Differenzlinien an hegemonialer Macht teilhaben, trifft sie die Ausgrenzung allerdings unterschiedlich, können und werden sie die Erfahrungen individuell anders wahrnehmen und andere Strategien des Umgangs entwickeln (vgl. die Modellierungen von Rava und Ayse in Mecheril 2003 bzw. von Lara und Binod in Paske 2006). Das Spektrum der möglichen Handlungsweisen reicht dabei von der völligen Internalisierung der Zuschreibungen bis hin zu deren völliger Ablehnung. Manche Geanderte werden in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Handlungsmächtigkeit geschwächt, andere gestärkt. Für alle aber gilt, dass ihre natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit nie selbstverständlich, nie fraglos akzeptiert ist. Sie bleiben als ‚Andere’ markiert, egal was sie machen. Ihre natio-ethno-kulturelle Differenz wird ständig neu hergestellt und festgeschrieben.

Das Indernet

Die ‚InderInnen der zweiten Generation’, die das Indernet machen und nutzen, gehören zu der Kategorie der Uneindeutigen. Sie haben ihre Lebensmitte in ‚Deutschland’ und fühlen sich diesem Zugehörigkeitskontext verbunden. Gleichzeitig fühlen sie sich aber auch mit ‚Indien’ verbunden (und möglicherweise mit noch weiteren natio-ethno-kulturellen Kontexten). Diese mehrfache Verbundenheit wird allerdings nicht anerkannt. Im Gegensatz zu den ‚weißen Deutschen’, die in ‚Deutschland’ als nicht signifikant abweichend vom fiktiven Prototyp angesehen werden, und den ‚InderInnen’, die in ‚Indien’ als nicht signifikant abweichend erachtet werden, wird ihre Zugehörigkeit in keinem Kontext fraglos anerkannt. Sie entsprechen nicht der Norm der eindeutigen natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit und werden daher zu ‚Anderen’ gemacht, werden ausgegrenzt und diskriminiert. Sie machen Rassismuserfahrungen auf unterschiedliche Weise, wie Mecheril (2003) und Paske (2006) zeigen. Dabei handelt es sich bei den Ausgrenzungen, Diskriminierungen und Rassismen, die sie erfahren, weniger um körperlich oder verbal explizit gewalttätige Angriffe, sondern vielmehr um subtile und vermittelte Formen. Battaglia (1995) weist hierbei auf den ausgrenzenden Charakter von Herkunftsdialogen hin. Durch diese werden die ‚InderInnen der zweiten Generation’ mit Fragen und Vermutungen über ihre ‚indische Natur’ konfrontiert und so permanent darauf hingewiesen, dass sie nicht als zum ‚deutschen’ Kontext dazugehörig angesehen werden.

Das Indernet bietet einen virtuellen Raum, in dem ‚InderInnen der zweiten Generation’ diesen permanenten Ausgrenzungserfahrungen entfliehen können. Hier sind sie mit ihrer mehrfachen natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit die Norm, ohne dass dies explizit thematisiert werden muss (vgl. Goel 2005). Der fiktive Prototyp der Indernet-NutzerIn, der imaginierte ‚Standard-Indernet-Nutzer’, ist eine ‚InderIn der zweiten Generation’, die in ‚Deutschland’ lebt, Deutsch als Hauptsprache spricht und sich ‚Indien’ verbunden fühlt. Dabei bleibt vage, was genau eine ‚InderIn der zweiten Generation’ ist. In der engsten Ausgestaltung hat der fiktive Prototyp zwei Elternteile, die aus der Republik Indien nach Deutschland migriert sind, und fühlt sich der ‚indischen Kultur’ eng verbunden. Die vage Vorstellung des fiktiven Prototyps lässt aber auch zu, dass die Verbundenheit zur Republik Indien geringer ist; entweder weil die Eltern aus einem anderen südasiatischen Land kommen oder weil kaum Vertrautheit mit ‚indischer Kultur’ besteht. Dieser fiktive Prototyp stellt nicht die durchschnittliche oder repräsentative Indernet-NutzerIn dar. So gibt es auch viele aktive und regelmäßige ‚weiße’ NutzerInnen. Allen NutzerInnen gemein ist aber die Imagination dieses Prototyps; er definiert den Standard, auf ihn hin sind die Angebote und Interaktionen ausgerichtet. Durch diese Normierung wird das Indernet zu einem ‚Raum der zweiten Generation’ (vgl. Heft und Goel 2006). Jene, die nicht als signifikant abweichend von der imaginierten ‚Standard-NutzerIn’ wahrgenommen werden, erfahren hier die fraglose Anerkennung von Zugehörigkeit, die ihnen im ‚deutschen’ und ‚indischen’ Kontext verweigert wird. Hier können sie sich unter natio-ethno-kulturell Gleichen fühlen, hier müssen sie auf der Basis von natio-ethno-kulturellen Kriterien keine Ausgrenzung befürchten, hier werden sie auf dieser Basis nicht geandert. Jene, die sich dem Indernet und seinem fiktiven Prototyp natio-ethno-kulturell verbunden fühlen, sind hier handlungsmächtig und werden als Mitglieder (formell und informell) anerkannt. Sie empfinden eine Vertrautheit, die aus den gemeinsamen Erfahrungen und Prägungen entspringt.

Eine frühe Nutzerin spricht im Interview wiederholt von „Vertrautheit ohne Erklärungsbedarf“. Sie antwortet auf meine Frage: „... hat man an dem, was oder wie ihr miteinander gechattet habt, sehen können, dass ihr Inder oder indischer Abstammung seid?“

Ja! Manchmal schon, weil, die haben ja auch alle den Hang dazu, Inder auch gerne ins Lächerliche zu ziehen, und dann kommen halt auch diese Witze: ‚Ich mach mir jetzt einen Tee.’ und ‚Wollt ihr einen mittrinken?’. Das sind so kleine Beispiele gewesen, wo man dann einfach auch die Vertrautheit gesehen hat, doch unter Indern zu sein. Also ohne dass man großartig erklären musste, wie es denn ist, Inder zu sein…

Vertrautheit zeichnet sich damit durch die Abwesenheit von andernden Fragen und dem Druck, sich permanent erklären zu müssen (vgl. Battaglia 1995), aus. Das Indernet wird somit zu einem Raum der fraglosen Anerkennung von natio-ethno-kultureller (Mehrfach-)Zugehörigkeit. In ihm finden ‚InderInnen der zweiten Generation’ einen Ort der Zuflucht von den Ausgrenzungserfahrungen in ihrem alltäglichen ‚deutschen’ Lebenskontext (vgl. Goel 2005). Dieser virtuelle Raum ermöglicht aber nicht nur ein Entweichen von diesen Erfahrungen, sondern erlaubt auch eine gemeinsame Verarbeitung und die Entwicklung von Strategien des Umgangs. Dadurch, dass die ‚InderInnen der zweiten Generation’, die als nicht signifikant von der imaginierten ‚Standard-NutzerIn’ abweichend angesehen werden, im Indernet keiner natio-ethno-kulturellen Ausgrenzung ausgesetzt sind, entfällt deren permanenter (subtiler) Druck, können Energien erfrischt und anders eingesetzt werden. So kann allein schon die Zuflucht eine Stärkung der eigenen Position bedingen. Zudem hilft der Austausch mit anderen, die ähnliche Erfahrungen machen, diese weniger als individuelles denn als strukturelles Problem zu verstehen und von den Strategien anderer zu lernen. Des Weiteren können im Indernet Informationen über den zugeschriebenen Zugehörigkeitskontext ‚Indien’ gefunden werden, die dabei helfen die Herkunftsdialoge mit ‚Weißen’ verletzungsärmer zu bestehen. Die ‚InderInnen der zweiten Generation’ bekommen Antworten über ‚Indien’, die sie die Rolle der ‚InderIn’ überzeugender übernehmen lassen und sie als solche in den Augen der ‚Weißen’ legitimieren.

Das Indernet betont die Zugehörigkeit zu ‚Indien’ und imaginiert ein ‚Indischsein’ der ‚InderInnen der zweiten Generation’. Obwohl die Hauptsprache Deutsch ist und die verhandelten Themen in ‚Deutschland’ verortet sind, gilt der symbolische Bezug überwiegend ‚Indien’. Der Name weist auf ein Netzwerk von ‚InderInnen’ hin, das Logo besteht aus einer stilisierten indischen Fahne, der redaktionelle Rahmen bezieht sich auf ‚Indien’. Insbesondere in der Anfangszeit des Indernets wurde der virtuelle Raum von den Machern explizit als der von ‚InderInnen’ definiert:

Unser Ziel ist es, junge Inderinnen und Inder im Internet zusammenzubringen, die Kommunikation untereinander zu fördern, Projekte unserer Mitglieder/innen vorzustellen und über das Land Indien an sich zu informieren.

Auch in meinen Interviews war der Bezug auf ‚Indien’ (sicher auch durch die Natur der Interviewsituation verursacht, vgl. Mecheril et al 2003) dominant. Meine InterviewpartnerInnen verstanden sich eher als ‚InderInnen’ mit diversen Qualifizierungen wie ‚der zweiten Generation’, ‚Halb’ oder ‚Deutsch’ als als ‚Deutsche’ (unabhängig von möglichen Qualifizierungen auch dieser Bezeichnung). Dieses Sich-als-‚indisch’-imaginieren kann als eine Strategie des Umgangs mit der Norm der eindeutigen natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit verstanden werden. Die ‚InderInnen der zweiten Generation’ wissen aus ihrem Lebensalltag, dass sie zum einen nicht fraglos als ‚Deutsche’ anerkannt und zum anderen von ‚Weißen’ (und von ihren Eltern) als ‚InderInnen’ bezeichnet werden. Das Annehmen dieser Zuschreibung ist daher eine scheinbar einfache Form, dem Druck zur eindeutigen Positionierung zu entsprechen. Aber auch das Imaginieren des ‚Indischseins’ hebt ihre natio-ethno-kulturelle Uneindeutigkeit nicht wirklich auf. Insbesondere bei Aufenthalten in ‚Indien’ merken sie, dass sie weder fraglos als ‚InderInnen’ anerkannt werden noch sich fraglos zugehörig fühlen. Auch wenn sie sich als ‚indisch’ definieren, bleibt die Verbundenheit mit ‚Deutschland’ bestehen. Dies wird auf dem Indernet immer wieder deutlich, wenn implizit der Lebenskontext ‚Deutschland’ zur (anstrebenswerten) Norm gemacht wird. Der Forumsthread „Nach Indien ziehen?” , in dem eine vermutlich ‚weiße’ Nutzerin fragt, ob sie mit ihrem ‚indischen’ Freund in dessen Herkunftsort im ländlichen Indien ziehen soll, illustriert dies. Die meisten Antwortenden raten ihr davon ab, da sie dort mit keiner mit ‚Deutschland’ vergleichbaren Infrastruktur rechnen könne. Dieses Abraten bezieht sich nicht nur auf den Schritt einer ‚Weißen’ ins ländliche ‚Indien’ sondern auch auf die Antwortenden selber, wie folgender Beitrag in einer Forumsdiskussion zeigt:

Ich könnte es mir momentan nicht vorstellen. Ich lebe derzeit auch in England, und ich muss sagen, dass die Lebensstandards hier unter aller Sau sind (im Vergleich zu Deutschland). Ich habe davor einige Jahre in den Staaten verbracht, da war es auch nicht besser. Wenn ich da jetzt an Indien denke und auch noch auf dem Land, da würde ich wahrscheinlich abdrehen. The basic infrastructure is just not there.

Die NutzerInnen des Indernets bleiben so mehreren natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitskontexten verbunden, obwohl kontextabhängig der Eindruck einer eindeutigen Positionierung zu ‚Indien’ entsteht. Dabei stellen weder die RedakteurInnen noch die meisten NutzerInnen die dichotome Logik natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit explizit in Frage (vgl. Goel 2007). Sie entwickeln innerhalb ihres Rahmens Strategien und verschieben die Grenzen nur so weit, dass sie nicht mehr gegen sie stoßen. Das Indernet ist kein politisch-widerständiges Projekt, das Essentialisierungen und Ausgrenzungen grundsätzlich in Frage stellt. So reproduzieren die RedakteurInnen und NutzerInnen auch andere Differenzlinien der ‚deutschen’ Gesellschaft wie jene der Klasse oder des Geschlechts (vgl. Goel 2007). Mehrfach Marginalisierte, wie zum Beispiel sich als homosexuell identifizierende ‚InderInnen der zweiten Generation’, gehören auf dem Indernet nicht zur Norm und erfahren hier in Bezug auf ihre sexuelle Identifizierung die Verweigerung von Zugehörigkeit.

Verbundene Räume

Das Indernet ist ein eigener Raum der ‚InderInnen der zweiten Generation’. Hier definieren sie die Norm, hier können sie sich der natio-ethno-kulturellen Norm der ‚deutschen’ Gesellschaft entziehen. Hierhin können sie sich zurückziehen, um unter natio-ethno-kulturell Gleichen (Uneindeutigen) zu sein. Damit bildet das Indernet einen Raum, der den gängigen Vorstellungen zu ‚Parallelräumen’ und der ihnen unterstellten ‚Integrationsverweigerung’ entspricht. Das Indernet besteht aber nicht unabhängig von anderen sozialen Räumen in ‚Deutschland’, ‚Indien’ oder anderswo. Die ‚InderInnen der zweiten Generation’ tragen in diesen Raum ihre Prägungen aus anderen Räumen mit hinein (vgl. Kolko et al. 2000) und halten sich nach wie vor vorwiegend in anderen, insbesondere in hegemonial ‚weißen’ Räumen auf.

Bewusst provozierend hatte ich den Chefredakteur des Indernets nach der Gefahr der Segregation durch das Internetportal und ‚indische’ Veranstaltungen gefragt. Er verneinte dies unter anderem mit dem Verweis darauf, dass die ‚InderInnen der zweiten Generation’ vor allem in einem ‚deutschen’ Umfeld leben:

Es war einfach nur, der Sinn war ja einfach nur, dass gewisse Diskussionspunkte die jemand innerhalb des jetzigen Umfelds, in dem man lebt, also in diesem deutschen Umfeld, die man da nicht diskutieren kann, diese Identitätsgeschichten. Die kann man wiederum vielleicht auf so einer Veranstaltung ausleben und diskutieren. Deswegen denke ich nicht, man könnte es zwar vielleicht denken: ‚Ihr grenzt euch aus!’ Aber ich glaube nicht, dass das der Fall ist.

In den ‚deutschen’ Räumen können die Erfahrungen der verweigerten Zugehörigkeit nicht diskutiert werden; im Gegenteil: dort werden sie gemacht. Im Indernet und bei ‚indischen’ Veranstaltungen werden sie verhandelt, aber der Aufenthalt dort ist nur vorübergehend; von ihnen aus gehen die NutzerInnen in die ‚weißen’ Räume zurück, da sich ihr Leben vor allem dort abspielt. Das Indernet ist kein unverbundener, abgetrennter ‚Parallelraum’ (vgl. Heft und Goel 2006, S. 9 zur Unmöglichkeit von parallelen Räumen), sondern ergänzt die anderen Räume und dient dazu, die Erfahrungen in diesen zu verhandeln und für die Interaktionen in ihnen zu stärken. Er ist ein neuer Raum, der mit den anderen Räumen mehr oder weniger direkt verbunden ist, der durch sie gestaltet wird und sie beeinflusst.

Die Erschaffung eines eigenen ‚Raums der zweiten Generation’, egal ob der ‚InderInnen der zweiten Generation’ oder der ‚Muslime der zweiten Generation’ (vgl. Heft und Goel 2006, S. 10 - 14), ist damit nicht eine Verweigerung der Teilnahme in anderen (‚weißen’) Räumen, sondern soll im Gegenteil die Handlungsfähigkeit in diesen erhöhen. Nicht die ‚InderInnen der zweiten Generation’ oder die ‚Muslime der zweiten Generation’ verweigern eine Partizipation in der ‚deutschen’ Gesellschaft, sondern jene verweigert ihnen die Zugehörigkeit und schränkt damit ihre Handlungsfähigkeit signifikant ein. Die verweigerte Zugehörigkeit wiederum beschränkt den Zugang zu ‚weißen’ Räumen und legt damit den Rückzug in einen eigenen Raum nahe. Die Imaginationen der ‚Weißen’, ihre Konstruktionen von Differenzen und des bedrohlichen ‚Anderen’ machen die ‚Räume der zweiten Generation’ erst zu etwas, dass die ‚Weißen’ (anders etwa als einen eigenen ‚Raum der AkademikerInnen’) als problematisch ansehen. Die ‚Räume der zweiten Generation’ entfalten ihre Bedeutungen erst in den Perspektiven und Diskursen derer, die sie wahrnehmen oder nutzen.

Die Dominanz des rassistischen Diskurses

In einer Gesellschaft, die durch die Logik eindeutiger natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit geprägt ist und die die ‚Anderen’ als Problem definiert, ist diese Interpretation des eigenen Raums aber nicht offensichtlich, nicht leicht zugänglich. Mächtiger als sie bleiben die Diskurse über ‚Parallelgesellschaften’ und ‚Integrationsverweigerung’. Diese sind so mächtig, dass sie von den Geanderten übernommen werden und jene sich in ihnen positiv zu positionieren versuchen. So erklärt mir einer der Gründer des Indernets im Interview:

Was man beobachten kann, dass zum Beispiel die türkische Community sich doch in sehr vielen Bereichen abgrenzt. Es gibt, ob das in Berlin ist oder ob das in Bremen oder in Hamburg ist, es gibt da regelrecht einzelne Regionen oder Bereiche innerhalb von Städten, da sind wirklich nur Türken untereinander. Da ist klar, dass da Integration natürlich nicht funktioniert, wenn man sich so abgrenzt. Wenn man auch nicht den Willen hat, sich zu integrieren, dann ist klar, dass da nichts daraus wird, dass man auch die Sprache dann nicht so gut sprechen kann – wenn überhaupt. Bei den Indern ist das so, dadurch, dass eben nicht so viele da sind, gibt es keine, ich sage jetzt mal ganz überspitzt formuliert, Gettoisierung. Es verteilt sich überall auf das gesamte Bundesgebiet. Zumindest kenne ich es so, wie ich es beobachtet habe oder auch von anderen Berichten gehört habe, dass sich die Inder dann auch in einem deutschen Umfeld bewegen und dadurch, glaube ich, oder ich habe sogar einmal eine Reportage gesehen, zu den mitunter am besten integrierten Migrantengruppen in Deutschland zählen. Also sie haben kein Problem, sagen wir mal, sich hier zurechtzufinden, weil sie auch, die indische Mentalität ist so, dass man nicht darauf pocht, seine eigene, ausschließlich nur seine eigene Sprache hier zu sprechen, sondern auch sagt, wenn ich hier schon bin, dann muss ich mich auch hier so benehmen, ich muss mich hier dann auch so verständigen können.

Der Redakteur nimmt hier die Diskurse zu ‚Integrationsverweigerung’ und ‚Parallelgesellschaften’ auf, bestätigt sie für die ‚TürkInnen’ und widerspricht ihnen für die ‚InderInnen’. Die letzteren grenzt er gegenüber den ‚TürkInnen’ ab und spricht ihnen eine essentialisierte ‚Integrationsbereitschaft’ zu. Damit reproduziert er (vermutlich unbewusst) die rassistischen Diskurse und bestätigt sie implizit.

Eine explizite Verortung des Indernets in diesen Diskursen erfolgt mit der Neuformulierung der Projektbeschreibung im Sommer 2006 . Die Macher beschreiben die Idee des Internetportals nun als:

The‚Indernet, sprich „das Indernet“ ... und damit ein „Indien-Netzwerk“ [U. G.] wurde … im Jahre 2000 als Informations- und Kommunikationsplattform für indische bzw. indischstämmige sowie Indien-interessierte Menschen in Deutschland gegründet.

War am Anfang noch allgemein von ‚InderInnen’ (allerdings Gender-unsensitiv) die Rede, wird jetzt zwischen ‚indischen’ und ‚indischstämmigen’ differenziert. Dabei bleibt die Definition durch die zugeschriebene Herkunft erhalten. Nachträglich hinzugefügt und in die Vergangenheit hineininterpretiert werden als zusätzliche Zielgruppe die Indien-interessierten Menschen, die nach meiner Beobachtung im Jahr 2000 und auch noch zu Beginn meiner Interviews im Jahr 2004 eine weit untergeordnetere Rolle gespielt haben. Interessant ist auch, dass aus dem „Indernetzwerk“ , das bis vor kurzem im Namen Indernet steckte, nun ein „Indien-Netzwerk“ wird. Es ist eine Verschiebung des Schwerpunkts von den Menschen auf das Land zu beobachten. Dies zeigt sich auch in der Neuformulierung der Ziele:

Schaffung eines virtuellen Raumes, um die Bildung von Netzwerken von Menschen mit Interesse an Indien zu vereinfachen.
Bereitstellung einer Plattform für Kommunikation, Information und Unterhaltung rund um das Thema Indien bzw. indisches Leben in Deutschland.

Zentrale Vernetzung der in On- und Offlinemedien veröffentlichen Informationen zum Thema Indien/Indien in Deutschland.
Förderung des interkulturellen Dialogs.

Unterstützung der gesellschaftlichen Integration indischer Mitbürger im deutschsprachigen Raum.
theinder.net - eine Plattform für interkulturelle Kommunikation, Integration und hochwertigen Informationsgehalt rund um das Thema Indien.
theinder.net - am Puls der Community.

Die (jungen) ‚InderInnen’ tauchen gar nicht mehr als AkteurInnen auf. Der Fokus wird zum Exotischen, dem Land oder eher dem imaginierten ‚Indien’ verschoben. Außerdem tauchen plötzlich auch die Schlagworte ‚interkultureller Dialog’ und ‚Integration’ auf, die bis dahin auf dem Indernet keinen Platz hatten. Die Formulierungen „Förderung des interkulturellen Dialogs“ und „Unterstützung der gesellschaftlichen Integration indischer Mitbürger im deutschsprachigen Raum“ nehme ich allerdings als sehr distanziert wahr. Sie wirken nicht so, als ob sie auf sich selbst, also auf die ‚InderInnen der zweiten Generation’, bezogen sind. Es macht eher den Eindruck, dass jene die vermittelnde Rolle zwischen den ‚Deutschen’ auf der einen und den ‚InderInnen’ auf der anderen Seite übernehmen wollen. Es scheint, dass nicht die ‚InderInnen der zweiten Generation’ integriert werden sollen, denn sie sind es im Selbstbild vermutlich längst bzw. für sie stellt sich die Frage nicht (vgl. Choi und Illing 2006), sondern die ‚Anderen’, also in diesem Fall die ‚echten InderInnen’.

Es wirkt so, als ob die neue Projektbeschreibung alle Anforderungen für einen erfolgreichen Antrag für öffentliche Mittel bzw. zum Gewinnen von ‚deutschen’ Werbepartnern in Zeiten der ‚deutschen’ Bollywood-Euphorie genügen soll. Alle nötigen Schlagworte sind enthalten. Die Projektbeschreibung ist ge-mainstreamt und kommerzialisiert, wie an den letzten Sätzen klar zu erkennen ist: „Qualität setzt sich durch. Fordern Sie noch heute ein unverbindliches Beratungsgespräch sowie eine Preisliste an!“ Die neue Projektbeschreibung stellt damit in mehrfacher Hinsicht eine Abwendung von den vorherigen Zielen, insbesondere der Orientierung auf die ‚indische Gemeinschaft’, dar. Der Bezug auf sie bleibt nur noch in: „theinder.net - am Puls der Community“ erhalten. Aber selbst dieser wirkt eher wie eine Werbebotschaft denn als ein Zeichen der Verbundenheit. Die Macher des Indernets übernehmen noch stärker als früher hegemoniale Diskurse und versuchen, diese zum Vorteil des Internetportals zu erfüllen. Ein klares Zeichen dafür, dass das Indernet ein Teil der ‚deutschen’ Gesellschaft, wenn auch kein fraglos zugehöriger, ist.

Siehe auch:

© Urmila Goel, www.urmila.de 2007